Schwarzer Regen
des Rotors: »Es sind noch Verletzte in der Stadt. Ein Freund von mir liegt mit zerschmetterten Beinen im Polizeihauptquartier in der Beiertheimer Allee.«
Der Arzt nickte. »Wir tun, was wir können«, rief er zurück.
|146| 31.
Die Wolke stieg höher und höher wie der Ausstoß einer gigantischen Rakete. Gleichzeitig breitete sich ihr glühender Kopf kugelförmig aus, so dass sie die Form eines riesigen, schnell wachsenden Pilzes annahm.
Eine pilzförmige Wolke. Es dauerte einen Moment, bis Faller klar wurde, was das bedeutete.
Eine atomare Explosion. Ein Atomkraftwerk musste in die Luft geflogen sein. Oder vielleicht ein nuklearer Anschlag? Wenn sie die Richtung korrekt einschätzte, dann stand die Wolkensäule genau über dem Zentrum von Karlsruhe. In der Innenstadt gab es bestimmt kein Kraftwerk.
Panik stieg in ihr auf, doch gleichzeitig war sie von einer seltsamen Energie erfüllt. Sie war Augenzeugin einer Atomexplosion! Es gab wohl keine größere Story als diese. Verzweifelt versuchte sie, ihre Digitalkamera zu aktivieren, doch das verdammte Ding war mausetot. Ausgerechnet jetzt!
Ihr fiel ein, dass ihr Handy eine Kamera hatte. Die Qualität war viel zu schlecht für Pressefotos, aber immer noch besser als gar nichts. Das Gerät hatte keinen Empfang, aber wenigstens funktionierte es noch. Sie fotografierte die Wolke mehrmals und überlegte, was zu tun war. Die meisten Menschen flohen, doch Faller war klar, dass sie näher an das Zentrum der Katastrophe musste. Sie rannte zum Parkplatz vor dem Gelände, auf dem ihr Mietwagen stand.
Gewaltige Hitze schlug ihr entgegen. Turmhohe Flammen leckten aus dem Wald auf der anderen Seite eines großen Platzes in den inzwischen nachtschwarzen Himmel. Sie spürte den enormen Sog der Flammen. Ihr Auto stand |147| nur ein paar Dutzend Meter von der Feuerwand entfernt. Wenn sie nicht sofort losfuhr, würde es in Brand geraten.
Sie rannte zum Wagen. Das Innere war so heiß, dass sie kaum das Lenkrad anfassen konnte. Gehetzt fummelte sie mit dem Schlüssel herum. Es dauerte wertvolle Sekunden, bis der Motor endlich ansprang. Sie legte den Gang ein und jagte davon.
Die Straße führte durch Waldgebiet. Hier und da leckten bereits Flammen empor und schienen mit Feuerhänden nach ihr zu greifen. Immer wieder musste sie größeren Ästen ausweichen, die von der Druckwelle abgerissen worden waren. Einmal kam sie nur knapp unter einem halb umgestürzten Baum durch. Es war purer Wahnsinn, hier mit dem Auto zu fahren.
Sie schaffte es bis an den Rand einer Wohnsiedlung. Eine vierspurige Bundesstraße kreuzte in nordsüdlicher Richtung. Die Ampeln waren ausgefallen. Ein stetiger Strom von Fahrzeugen schob sich nach Norden, weg von der Stadt. In die Gegenrichtung fuhren nur vereinzelte Krankenwagen und Feuerwehrfahrzeuge.
Es war aussichtslos, die Straße überqueren und links in Richtung Süden abbiegen zu wollen. Also bog Faller rechts ab und wendete an der nächsten Kreuzung.
Je weiter sie sich dem Zentrum näherte, desto dunkler wurde es. Sie schaltete das Licht an. Regen setzte ein – dicke schwarze Tropfen trotzten den Scheibenwischern und verschmierten die Sicht.
Schließlich erreichte sie eine Straßenkontrolle. Ein Polizist in Regenkleidung winkte sie mit einer rot leuchtenden Kelle heran.
Faller hielt und öffnete das Seitenfenster. »Ich bin von der Presse«, rief sie und wies auf das Pappschild, das immer noch auf dem Armaturenbrett lag.
»Sie können hier nicht durch«, sagte der Polizist. »Nur |148| Rettungskräfte sind zugelassen.« Sein Gesicht verriet, dass er Angst hatte.
Faller fuhr einfach an dem Mann vorbei. Sie ignorierte sein Herumfuchteln mit der Leuchtkelle. Sie bezweifelte, dass er in dem allgemeinen Chaos Zeit haben würde, ihr eine Anzeige zu schicken. Und wenn, war es ihr auch egal – die Sache war es wert.
Ein oder zwei Kilometer hinter der Polizeikontrolle ging es jedoch tatsächlich nicht mehr weiter. Die Straße war von umgestürzten Bäumen und rauchenden Autowracks blockiert.
Faller hielt an und stieg aus. Der schwarze Regen prasselte auf sie herab und ruinierte ihre Frisur und Kleidung. Die Fenster der Häuser links und rechts der Straße waren zersplittert, die Dächer teilweise abgedeckt, so als sei ein gewaltiger Sturm über sie hinweggetobt. Ein Feuerwehr-Löschzug bekämpfte die Flammen in einem Mehrfamilienhaus an einer Kreuzung. Wegen des Rauchs und der Finsternis konnte man nur ein paar Dutzend Meter weit sehen. Faller
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