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Schwarzer Regen

Schwarzer Regen

Titel: Schwarzer Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Olsberg
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Todesdatum. Der Bestattungsunternehmer hatte gesagt, das Grab müsse sich erst »senken«, bevor man den Stein aufstellen könne. Er hatte nicht darüber nachdenken wollen, was das bedeutete.
    Lennard hatte Friedhöfe nie gemocht. Sie wirkten so starr, so endgültig. Doch jetzt empfand er die strenge Stille |201| als angenehm. Er bückte sich und entfernte ein welkes Blatt, das auf das Grab geweht worden war. Dann steckte er die Friedhofsvase, die ihm Berger mitgegeben hatte, in den weichen Boden, füllte sie mit Wasser aus einer Gießkanne in der Nähe und stellte die Blumen hinein.
    Er dachte an Ben, wie er gelacht hatte, wenn sie auf dem Bolzplatz herumgetobt hatten, wie er sich gefreut hatte, als sie zum ersten Mal gemeinsam ins Kino gegangen waren, um sich einen Disneyfilm anzusehen, wie er mit strahlenden Augen vor seinem Geburtstagstisch gestanden und stolz mit einem Zug die sieben Kerzen ausgepustet hatte – der letzte Geburtstag, den Lennard mit ihm gefeiert hatte.
    Auf einmal meinte er, seinen Sohn ganz in der Nähe lachen zu hören. Er fuhr herum, doch da standen nur die anderen Friedhofsbesucher und blickten stumm auf die Gräber derer, die sie in Karlsruhe verloren hatten.
    Sein Blick verschwamm, und sein ganzer Körper begann unkontrolliert zu zucken. Er sackte auf die Knie und weinte hemmungslos.
    Danach ging es ihm besser. Lennard warf einen letzten Blick auf das Grab und versprach sich selbst, morgen wiederzukommen.
    Als er den Weg über den alten Teil des Friedhofs zurück zum Parkplatz entlangschritt, hatte er das seltsame Gefühl, dass Ben ihn begleitete. Er schien ihm in den sanften Bewegungen der Blätter zuzuwinken, im Zwitschern der Vögel meinte Lennard sein fröhliches Lachen wiederzuerkennen. Es war ihm, als sei sein Sohn jetzt, wo er nicht mehr an einen bestimmten Ort auf der Welt gefesselt war, überall zugleich, immer in seiner Nähe. Er wusste, dass das albern war, aber die Vorstellung gefiel ihm, und er ignorierte seine Zweifel.

|202| 43.
    Samstagmittag nach der Arbeit holte Fabienne ihren Sohn bei Nora ab, wo er den Vormittag verbracht hatte. Sie beschloss, mit ihm einen Ausflug in die Stadt zu machen. Er brauchte unbedingt eine neue Hose – er wuchs so schnell, dass man ihm jedes halbe Jahr eine neue Kleidergarnitur kaufen musste, wenn er nicht in Hochwasserhosen herumlaufen sollte. Die Läden in der Innenstadt waren natürlich viel zu teuer, aber Fabienne liebte es, dort herumzubummeln und davon zu träumen, einmal in einer der Luxusboutiquen nach Herzenslust einkaufen zu können. Außerdem erhaschte man manchmal doch attraktive Sonderangebote.
    Max war begeistert. »Essen wir wieder bei Burger King? Bekomme ich wieder eine Kindertüte mit Spielzeug?«
    Fabienne lächelte. Sie machte sich nichts aus Fast Food, aber Max liebte es, und das bisschen Luxus wollte sie ihm gönnen. Sie nickte und fuhr ihm durch das dichte dunkle Haar.
    An der Bushaltestelle standen ein paar Skinheads, Bierdosen in der Hand. Fabienne fasste Max enger und wich ihren Blicken aus. Sie stellte sich in einiger Entfernung neben das Wartehäuschen.
    »He«, rief einer der Glatzköpfe. Er hatte sich das Wort »Zorn« in Fraktur auf die Stirn tätowieren lassen. »Dieser Bus ist nur für Deutsche!«
    Fabienne ignorierte ihn.
    »Hast du nicht verstanden, Kanakenschlampe? Mit dem Bus hier fahren nur Deutsche!«
    Fabienne fuhr herum. »Ich bin Deutsche!«, rief sie. |203| »Aber wenn ich Typen wie dich sehe, dann wünschte ich, ich wär es nicht!«
    »Habt ihr … habt ihr das gehört?«, rief der Glatzkopf. Er lallte leicht. »Die Schlampe hat unser Land beleidigt!«
    »Lass gut sein, Bert«, sagte einer der anderen. Fabienne kannte ihn schon, seit er zwölf oder dreizehn war. Er hieß Jonas Dinkel und wohnte ebenfalls im Block. Eigentlich immer ein lieber Kerl, doch Karlsruhe hatte die Menschen verändert. Er wandte sich an Fabienne. »Es ist besser, Sie gehen jetzt.«
    Fabienne spürte, wie sich etwas in ihr versteifte. »Ich werde mit meinem Sohn in die Stadt fahren«, sagte sie und streckte trotzig das Kinn vor. »Niemand hat das Recht, uns daran zu hindern!«
    »Verpiss dich, Kanakenhure, sonst gibt’s was aufs Maul«, rief der Glatzkopf namens Bert.
    Fabienne sah ihn direkt an und legte alle Verachtung, zu der sie fähig war, in ihren Blick.
    Seine Augen waren blutunterlaufen. Er grinste. »Wenn ich’s mir so überlege, könnten wir vielleicht ein bisschen Spaß miteinander haben«, lallte er.
    »Reiß

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