Schwarzer Regen
und schaltete die Aufzeichnung auf schnellen Vorlauf. Pawlow schob Eva ins Schlafzimmer. Sie liebten sich im Zeitraffer.
Als es vorbei war, bremste Lennard die Aufzeichnung auf normale Geschwindigkeit. Sie blieben noch eine Weile |273| nackt nebeneinander auf dem Bett liegen, ohne miteinander zu reden. Eva starrte an die Decke, an der die Kamera befestigt war. In ihren Augen schien Traurigkeit zu liegen. Obwohl sie nicht wissen konnte, dass sie beobachtet wurde, hatte Lennard das Gefühl, dass sie ihn direkt ansah.
Schließlich stand sie auf und verließ Pawlows Wohnung ohne einen Abschiedskuss.
|274| 55.
Gerd Wesel blickte vom Bühnenrand aus über die riesige Menschenmenge, die sich auf der großen Wiese nördlich von Ettlingen erstreckte. Es mussten hunderttausend sein, die gekommen waren, um gegen die Anschläge zu protestieren. Gekommen, um ihn zu hören.
Sein Herz klopfte heftig. Erneut überkam ihn ein Schwindelanfall, und er musste sich an dem Gerüst abstützen, an dem die Lautsprecher und Großbildleinwände befestigt waren. Dr. Adam warf ihm einen besorgten Blick zu. »Geht es Ihnen gut? Soll ich Ihnen sicherheitshalber noch eine Spritze geben?«
Gerd schüttelte den Kopf. »Geht schon! Es ist nur …« Der Rest seiner Worte ging in tosendem Applaus unter, als Ludger ans Mikrofon trat.
»Liebe Freunde …«, rief er und wartete, bis sich der minutenlange Beifall gelegt hatte. »Liebe Freunde, liebe Mitbürger, ich freue mich, dass Sie alle heute an diesen ganz besonderen Ort gekommen sind. Nur etwa 6 000 Meter nördlich von hier ist vor sechs Wochen ein feiger Anschlag verübt worden. Ein Anschlag, der eine ganze Stadt zerstört und unser Land, uns alle schwer getroffen hat. Das war nur möglich, weil wir uns trotz aller Anzeichen nicht auf diese Gefahr vorbereitet haben! Sechzig Jahre lang haben wir zugelassen, dass unsere Feinde sich ungehindert in unserem Land bewegen, ihre geheimen Machenschaften ungestraft vollziehen konnten. Wir haben Islamisten und anderen Terroristen unter dem Mantel unserer Demokratie Unterschlupf geboten, haben sie in unserer blinden Freiheitsliebe machen lassen, was sie wollten. Die Terroristen haben uns |275| mehrfach öffentlich den Krieg erklärt, aber wir haben unsere Soldaten ins Ausland geschickt, statt unsere Heimat zu schützen. Die Menschen in Karlsruhe und ihre Angehörigen haben dafür den Preis gezahlt!«
Betroffene Stille senkte sich über die Versammlung. Gerd bekam eine Gänsehaut. Mit wenigen Sätzen hatte es der PDV-Vorsitzende geschafft, in die Herzen der Menschen zu dringen, sie zu fesseln. Er verstand jetzt, was Ludger gemeint hatte, als er davon gesprochen hatte, die Leute mitzureißen.
»Ich frage euch: Was nützt Freiheit, wenn man nicht in Frieden und Sicherheit leben kann? Was nützt Freiheit, wenn sie nur denen dient, die unser Land zerstören wollen? Einigkeit und Recht und Freiheit heißt es in der dritten Strophe unserer Nationalhymne. Aber Karlsruhe hat uns allen gezeigt, wie es wirklich heißen muss: Einigkeit und Recht und
Sicherheit
für das Deutsche Vaterland!«
Beifall brandete auf. Ludger wartete einen Moment, bis sich der Applaus gelegt hatte, dann fuhr er fort:
»Aber was rede ich? Ich war fünfhundert Kilometer entfernt, als der Angriff geschah. Ich war in Sicherheit. Ich habe gute Freunde verloren, doch was ist das gegen den Verlust der eigenen Frau, seiner Mutter, seines Kindes? Ich bin nicht würdig, an diesem besonderen Ort zu Ihnen zu sprechen. Deshalb gebe ich das Wort an jemanden, der dabei war, der am eigenen Leib die Konsequenzen des Angriffs ertragen musste und immer noch erträgt. Bitte begrüßen Sie mit mir das Ehrenmitglied der Partei des Deutschen Volkes, Gerd Wesel!«
Gerd brauchte eine Sekunde, um zu begreifen, dass er schon dran war. Begleitet von tosendem Applaus wankte er auf die Bühne. Dirk, Ludgers Fahrer und Leibwächter, half ihm zum Rednerpult. Schwarze Punkte tanzten plötzlich vor seinen Augen. Er klammerte sich an das Pult und |276| bemühte sich, seinen rasselnden, flachen Atem zu beruhigen.
»Liebe … liebe Freunde«, begann er, als sich der Applaus allmählich legte. Seine Stimme war ein schreckliches Krächzen. Er sah die betroffenen Gesichter der Menschen am Bühnenrand und begriff im selben Moment, dass sie sein eigenes Gesicht in riesenhafter Vergrößerung auf der Leinwand sehen konnten. Sein entstelltes, graues, müdes Gesicht. Er schluckte, doch der zähe Schleim in seiner Kehle ließ
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