Schwarzer Regen
Journalisten hätten sich darum gerissen, ein Exklusivinterview mit ihm führen zu dürfen.
»Ich weiß noch genau, dass der Mann, der bei ihm war, mir den Namen genannt hat, der unter dem Bild steht: Benedikt Pauly.«
»Das war sein leiblicher Vater«, sagte Wesel. »Aber er lebte bei seinem Stiefvater. Der ist auch umgekommen, glaube ich.«
»Wie dem auch sei. Ich würde gern wissen, was Sie bewogen hat, trotz Ihres … Zustands gestern auf einer Parteiveranstaltung der PDV aufzutreten.« Die Blondine, die neben der Journalistin stand und sie die ganze Zeit kritisch beäugte, räusperte sich. Solche Fragen waren natürlich nicht im Interesse der PDV. Doch Faller wollte nicht nur in Erfahrung bringen, wer der junge Mann wirklich war. Sie wollte vor allem herausfinden, ob sein leidenschaftlicher Appell gestern von ihm selbst gekommen war oder ob er nur als Marionette des PDV-Vorsitzenden Freimann aufgetreten war, der das Leid der Opfer für seine Zwecke instrumentalisierte.
»Ich wollte den Leuten sagen, dass sie sich nicht unterkriegen lassen dürfen«, sagte er.
|286| »Das klang gestern aber anders«, entgegnete Faller. »Einige Kommentatoren haben von ›Volksverhetzung‹ und einer ›Hasskampagne‹ gesprochen.«
»Das ist absurd! Ich habe doch nur berichtet, was mir passiert ist!«
»Als Sie sagten, ›Deutschland muss brennen‹, haben Sie da die Brandanschläge auf vier Asylantenheime gemeint, die gestern Nacht verübt wurden?«
Der junge Mann wirkte erschrocken. Möglicherweise hatte er noch gar nichts von den Krawallen überall in Deutschland nach seinem Auftritt gehört, obwohl die Zeitungen und Nachrichtensendungen voll davon waren. »Was? Aber … aber ich habe niemals gesagt, dass …«
»Hören Sie«, mischte sich die Blondine ein. »Ich weiß nicht, was Sie mit Ihren Provokationen bezwecken. Herr Wesel hat eine sehr persönliche Rede gehalten. Wenn Sie Fragen zu seinen Erlebnissen haben, stellen Sie diese bitte. Wenn Sie ihn nur belästigen wollen, muss ich Sie allerdings bitten, unser Gästehaus zu verlassen!«
Faller ignorierte den Einwurf. »Sie müssen sich doch darüber klar sein, dass Sie sich zum Werkzeug einer rechtsradikalen Partei gemacht haben!«
Der junge Mann schüttelte den Kopf, was ihn einige Kraft zu kosten schien. »Ich … ich habe mich doch höchstens zum Werkzeug für unser Land gemacht!«
Die Journalistin machte eine Handbewegung, die den Raum umfasste. »Und dass Sie hier im Gästehaus der PDV untergebracht sind, hat nichts zu bedeuten?«
»Die PDV ist eine demokratische Partei!«, sagte Wesel. Seine Stimme klang jetzt beinahe weinerlich. »Viele bedeutende Menschen unterstützen sie. Nehmen Sie zum Beispiel Heiner Benz …«
Corinna Faller versuchte, sich ihre Überraschung nicht anmerken zu lassen. »Heiner Benz? Der Milliardär?«
|287| »Ja, genau der! Er ist einer der führenden deutschen Unternehmer, und er steht ebenso wie ich hinter der Bewegung, die Deutschland wieder stark und wehrhaft machen will!«
»Woher wissen Sie das?«
»Ich habe ihn vorgestern kennengelernt. Hier in diesem Gästehaus.«
»Es reicht jetzt«, mischte sich die Blondine ein. »Herr Wesel braucht dringend Ruhe. Sie werden ihn ein anderes Mal befragen müssen!« Sie fasste die
Rasant -
Reporterin am Arm, um sie aus dem Raum zu zerren.
Faller schüttelte ihre Hand ab. »Schon gut, ich komme ja. Vielen Dank für Ihre Zeit, Herr Wesel. Ich wünsche Ihnen alles Gute!«
»Auf Wiedersehen, Frau Faller!«
|288| 58.
»Eva! Was machst du denn hier! Wir hatten doch vereinbart …«
Lennard fuhr hoch. Er schaltete den Ton des Fernsehers aus, in dem gerade ein Bericht über die gestrige Massendemonstration am Rande der Sperrzone lief. Ein junger Mann stand auf der Bühne. Er schien sich kaum auf den Beinen halten zu können, doch in seinen Augen lag ein beunruhigender Glanz, als er zu den Massen sprach.
Lennard wandte seine Aufmerksamkeit dem Laptop zu. Die letzten zwei Tage hatte er Pawlow nicht mehr aus den Augen gelassen, doch der Mann hatte sich in keiner Weise verdächtig benommen und auch keinen weiteren Kontakt mit Eva gehabt.
Jetzt aber drängte sie sich an Pawlow vorbei ins Blickfeld der Kamera. »Wir … wir müssen etwas tun!«, rief sie.
»Etwas tun? Wovon redest du? Was ist denn los? Hat er was gemerkt?«
Eva lief aufgeregt in der Wohnung auf und ab. »Es ist schrecklich …«
»Jetzt beruhige dich doch erst mal!« Pawlow holte eine Flasche Wodka aus dem Kühlschrank und
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