Schwarzer Regen
wechselte das Thema, „ich
weiß, wie beschäftigt Sie sind, aber...“ Er sagte, was er vorher nicht zu
äußern gewagt hatte. „Herr Doktor, wenn Sie etwas Zeit haben, könnten Sie nicht
einmal das Tagebuch lesen? Ich bin ganz sicher, Sie werden dann verstehen,
warum ich Sie um Hilfe bitte. Es handelt sich nämlich um ein Mitglied unserer
Familie, das an der Strahlenkrankheit leidet.“
„Sie meinen, ich sollte... Strahlenkrankheit?“
fragte der Arzt und machte ein sehr nachdenkliches Gesicht. „Ich bin Spezialist
für Hämorrhoiden, wissen Sie. Jede Art von Hämorrhoiden kann ich behandeln.
Aber Strahlenkrankheit — nun ja, man könnte sagen, das ist eine unberechenbare
Sache. Mein junger Schwager hatte sie, und ich habe alles getan, was ich
konnte, doch es war so gut wie sinnlos. Ich werde mir aber das Tagebuch
ansehen, wenn Sie möchten — noch heute abend , falls
ich dazu komme. Ich behalte es erst mal hier.“
Nachdem der Arzt so bereitwillig auf ihn
eingegangen war, verabschiedete sich Shigematsu mit der Versicherung, in ein
paar Tagen wiederzukommen.
Das Tagebuch umfaßte eine Zeitspanne von sieben
Tagen, es begann mit dem ersten Tag, an dem Dr. Kajita gekommen war, um Yasuko
zu untersuchen. Shigeko hatte es schnell hingekritzelt, deshalb schrieb
Shigematsu es noch einmal sauber auf liniiertes Papier und änderte auch den
Stil, entsprechend seinem eigenen Geschmack, wenn es ihm richtig erschien.
Tagebuch über die Krankheit von Yasuko Takamaru
25. Juli. Gewitter und Regen.
Fest des Tenjin-Schreins. 10.30 Uhr. Anfall mit
heftigen Schmerzen und Erbrechen; Yasukos Zustand ist erbarmungswürdig. Der
Schmerz läßt nach etwa zehn Minuten nach. Temperatur 37,8. Leichter
Haarausfall.
14.30 Uhr. Starker Regen. Ein paarmal lauter
Donner.
15.30 Uhr. Es klärt sich auf. Dr. Kajita kommt
und untersucht die Kranke. Temperatur 37,9.
Der Abszeß am Gesäß ist aufgegangen, sagt er,
ein weiterer hat sich an einer anderen Stelle gebildet. Ich gucke nicht zu,
Yasukos wegen. Schließlich sagt er, er sei fertig und es sei alles in Ordnung.
Ich stelle eine Waschschüssel und heißes und kaltes Wasser draußen in die
Veranda und gehe hinein.
Als er in die Veranda hinausgeht, verdeckt
Yasuko ihr Gesicht mit einem Handtuch. „Der Donner vorhin hätte einen bald
umgeworfen, was?“ meint der Arzt lachend. Fühlt dann erneut Yasukos Puls und
sagt zu sich selbst: „Lieber spritzen... 100000 Einheiten Penicillin!“ Er gibt
ihr die Spritze mit geübter Hand. Ich bringe den Arzt bis zum Tor, er meint:
„Sie erscheint mir heute apathischer als gestern. Das kommt vermutlich von der
erhöhten Temperatur.“
Zum Abendbrot gedünsteten Weißfisch, Ei,
Seetang, Schalotten, eine Schale Reis, Tomaten. Der Arzt hat versprochen, alle
drei Tage zu kommen, aber nachdem ich mit meinem Mann und Yasuko gesprochen
habe, suche ich Dr. Kajita zu Hause auf und bitte ihn, jeden Tag zu kommen. Er
ist dazu bereit.
Die Kranke geht um acht ins Bett.
26. Juli. Schönes Wetter. Eine kühle Brise.
Morgens Temperatur 37,8. Sie fröstelt. Miso-Suppe, getrocknete Algen,
Schalotten, Essiggemüse, Ei, eine halbe Schale Reis.
Mittags Temperatur 36. Sie hat keinen Appetit,
zu Mittag nur Tomate und grünen Salat.
15 Uhr. Dr. Kajita kommt. Er meint: „Wir wollen
lieber den Stuhl untersuchen, damit wir sichergehen, ja?“ Yasuko willigt
zögernd ein. Der zweite Abszeß ist aufgegangen, ein dritter hat sich gebildet.
Er behandelt ihn und gibt uns Salbe und Puder.
Abendbrot: Suppe, Fischröllchen, gedörrte
Makrele, Gurkensalat, zwei Schalen Reis.
Sie liest Soun Yadas „Leben des Hideyoshi“. Halb
zehn ins Bett.
27. Juli. Große Regenwolken.
Morgens 37,2. Sie fühlt sich besser. Zum
Frühstück Miso-Suppe mit Auberginen, grüne Bohnen, Ei, zwei Schalen Reis. Sie
lächelt zum erstenmal seit langer Zeit.
Liest Soun Yadas „Leben des Hideyoshi“, womit
sie gestern angefangen hat.
Mittags 37,2. Eingelegte Gurken, Klettenwurzel
in Öl gebraten mit Sojasoße, gedünsteter Weißfisch, Omelett, eine Schale Reis.
Ein Brief von einer Freundin, mit der sie in
Furuichi zusammen gearbeitet hat; schreibt einen langen Antwortbrief und geht
selbst zur Post, um ihn aufzugeben.
Legt sich wieder hin bis etwa drei Uhr, als Dr.
Kajita kommt.
Temperatur normal, 37 Grad. Keine Anzeichen von
Hakenwürmern oder Spulwürmern, Stethoskopie normal, sagt der Arzt.
Als er den Abszeß behandelt hat und gerade weggehen
will, erklärt er: „Ich erhielt
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