Schwarzer Regen
nächsten Tag gab es einen Wolkenbruch, und in
die große Tanne auf dem Hof des alten Gerichtsgebäudes schlug der Blitz. Als es
sich aufgeklärt hatte, kam Dr. Kajita von der Klinik, um nach Yasuko zu sehen,
und man vereinbarte, daß er jeden dritten Tag kommen würde, um sie zu
untersuchen. Als Krankenzimmer bestimmte der Arzt ein Zimmer im Seitenflügel,
wo Shigematsus Mutter gewohnt hatte. Shigeko sollte die Pflege übernehmen, und
man beschloß, daß sie — ohne es Yasuko wissen zu lassen — einen täglichen
Bericht über den Verlauf der Krankheit schrieb. Bei der Ernährung hatten sie
sich genau an die Vorschriften des Arztes zu halten, sie sollte die gleiche
Kost haben wie Shigematsu, der selbst unter einer leichten Form der
Strahlenkrankheit litt. Yasuko mußte sich hinlegen, wenn sie sich müde fühlte,
und spazierengehen, wenn sie Lust dazu hatte — aber drei Mahlzeiten am Tag,
erklärte der Arzt kategorisch, waren unbedingt nötig. In den Alkoven des
Krankenzimmers hängte Shigeko eine Landschaft, die von dem berühmten Maler Chikuden
Tanomura sein sollte. Das Rollbild hatte ihnen ungefähr fünf Monate nach Kriegsende, an dem Tage des ersten Schnees, ein Textilwarenhändler
aus Shinichi dagelassen. Er war nach Kobatake gekommen, offensichtlich wußte er
nicht mehr, wie er etwas Eßbares auftreiben sollte, und hatte das Rollbild bei
Shigematsu gegen drei Sho Reis und fünf Aronswurzeln eingetauscht.
Shigematsu beschloß, sich so wenig wie möglich
im Krankenzimmer sehen zu lassen, um die Patientin nicht seelisch zu belasten.
Er war als erster der Strahlenkrankheit zum Opfer gefallen, aber jetzt hatten
sich die Rollen vertauscht; Yasukos Symptome waren inzwischen bei weitem
ernster als seine, und es konnte für sie keineswegs angenehm sein, ständig
daran erinnert zu werden. Tatsächlich schien sie sich von ihm zurückzuziehen,
meinte Shigeko — obwohl sie nicht, wie sie hinzufügte, in ihr Elternhaus
zurückkehren wollte. Einen Tag nachdem man sie in dem separaten Anbau
untergebracht hatte, ging Shigematsu hinein, um eine früh aufgeblühte Nelke in
eine Vase im Alkoven zu stellen. Voller Schrecken bemerkte er, wie schwach sie
geworden war. Als sie seinen Blick auf sich fühlte, schloß sie die Augen. In
den wenigen Tagen hatte sich ihr Aussehen merklich verschlechtert; diese weiße,
durchscheinende Haut war ein deutliches Zeichen von Anämie.
Shigeko erklärte ihm ausführlich jedes Symptom
und zeigte ihm den Bericht des Krankheitsverlaufes, den sie jeden Abend vorm
Schlafengehen aufzeichnete. Sie verfaßte ihn nicht wie eine gelernte
Krankenschwester, sondern schrieb mehr ein gewöhnliches Tagebuch mit
gelegentlichen Beschreibungen und persönlichen Eindrücken. Und trotzdem merkten
sie bald, daß sich die Mühe lohnte. Shigematsu, der der Krankheit hilflos
gegenüberstand, entschloß sich in seiner Verzweiflung, zum Leiter der
Hosokawa-Klinik zu gehen und ihn zu konsultieren, und nahm die Aufzeichnungen
als Beleg für den Krankheitsverlauf mit.
„Warum schicken Sie den Bericht nicht an die
Kommission für Atombombengeschädigte?“ fragte der Arzt, nachdem er ein oder
zwei Seiten überflogen hatte. „Meiner Meinung nach gibt er ein gutes Bild von
einer typischen Dreiergruppe — ein Krankenhausarzt, ein strahlengeschädigter
Patient und die Pflegeperson. Ein Trio von Menschen, das Opfer im Zentrum, alle
am Ende, weil sie nicht wissen, was man tun soll. Ein Trio von Opfern, so
möchte man sagen... das ist auf den ersten Blick erkennbar. Die Kommission für
Atombombengeschädigte in Hiroshima sammelt Berichte aller Art über die Opfer
der Atombombe und veröffentlicht von Zeit zu Zeit Mitteilungen, wie es um die
von der Strahlenkrankheit Betroffenen steht.“
Shigematsu hatte von der Existenz einer solchen
Kommission nichts gewußt. Jetzt erfuhr er, daß eine Beobachtungsgruppe der
Besatzungsarmee mit Ärzten von der Universität Tokio im Herbst nach Kriegsende
in Hiroshima zusammengekommen war. Während ihrer Arbeit entwickelte sich diese
Gruppe nach und nach zu der Kommission für Atombombengeschädigte, einer
Organisation, die gegründet wurde, um Untersuchungen anzustellen und
statistische Angaben über die Opfer der Atombombe zu sammeln, getragen von den
lautersten Idealen. Dort untersuchte man zwar die verschiedensten
Erscheinungsformen der Krankheit, tat aber nichts für ihre Behandlung.
Shigematsu hatte mehr Yasuko als Ideale im
Sinne. „Die Sache ist die, Herr Doktor“, sagte er und
Weitere Kostenlose Bücher