Schwarzer Regen
ihrem Kontrollgang Yasuko auf den Dielen knieend
vorgefunden, über das Bett gebeugt und schluchzend. Nach dem Grund befragt,
hatte sie erklärt, die Stellen mit den Abszessen juckten so fürchterlich, daß
sie es nicht mehr aushielte. Die Schwester ließ sie das Nachthemd hochheben und
sah im Schein ihrer Taschenlampe eine wimmelnde Masse von Madenwürmern. Diese
kleinen Würmer leben als Parasiten im menschlichen Körper; sie kriechen nachts
aus dem After, um ihre Eier abzulegen. Offensichtlich hatten sie ihre Eier in
dem eiternden Gewebe des Geschwürs abgelegt. Der Arzt will auch noch eine Probe
des Gewebes mikroskopisch untersuchen und dann das Geschwür ganz
herausschneiden. Er hat eben jetzt einen weiteren Abszeß festgestellt, der sich
neben dem After bildet.
„Wenn Sie das entzündete Gewebe entfernen, wie
Sie sagen, was geschieht dann mit dieser Stelle?“
„Die Wunde heilt langsam wieder zu.“
„Das gibt aber doch etliche Narben, nicht wahr?
Wird sie das nicht bedrücken?“
„Ja, schon“, erwidert er, „ganz läßt es sich
nicht vermeiden...“
Der Arzt ist ungefähr fünfzig Jahre alt. Yasuko
scheint müde zu sein, außerdem läutet die Mittagsglocke. Das ist für mich ein
Zeichen zu gehen. Ich sehe noch, wie sie das Mittagessen in den Flur bringen:
gedörrte Makrelen, grüne Bohnen in Sesamöl, Ei, Essiggemüse, eine runde lackierte
Schale mit Reis.
30. Juli. Schön.
Am Nachmittag geht mein Mann zum
Kuishiki-Krankenhaus.
Yasukos Temperatur war normal — 37, erzählt er,
als er zurückkommt. Sie hatte heftige Schmerzen in der Nacht. Heute mittag hat sie Sulfadiazin-Tabletten bekommen, die sie jetzt
alle viereinhalb Stunden nehmen soll. Als er einen Pfirsich aufschnitt, den er
mitgebracht hatte, und ihn ihr gab, versuchte sie mit den Eckzähnen und nicht
mit den Schneidezähnen abzubeißen. Auf seine Frage sagte sie, daß zwei Schneidezähne
ziemlich locker wären; sie hätte den Eindruck, sie wackelten, wenn sie mit der
Zunge rankäme.
Als mein Mann dem Arzt sagte, daß Yasuko über
Appetitlosigkeit klagte, wurde ihm erklärt, sie müsse — egal was sie äße oder
nicht äße — auf jeden Fall regelmäßig und zur vorgeschriebenen Zeit das
Sulfadiazin nehmen, da es das Vordringlichste sei, die Bildung von Abszessen
zum Stoppen zu bringen. Es bilden sich ständig neue, und die alten gehen auf.
Ich möchte wissen, was es wirklich ist. „Was kann das bloß sein?“ frage ich
meinen Mann.
„Ich weiß nicht“, antwortet er, „aber es scheint
ja überhaupt nichts mehr mit ihr zu stimmen — die Zähne sind locker, das Gesäß
tut ihr weh, dann das Fieber und jeden Tag diese furchtbaren Schmerzen.“
Heute nachmittag plötzlich aufkommender Wind. Die Frau vom Besitzer der Wassermühle schaut
herein, sagt, sie sei gerade vorbeigekommen und wolle mal sehen, ob bei uns
alles in Ordnung ist bei dem Wind. Dann fängt sie an, von der Atomkrankheit zu
sprechen. Sie erzählt mir, was bei Dr. Hosokawa im Dorf Yuda geschehen ist. Der
Schwager des Arztes, selbst ein Doktor der Medizin, war im Lazarett in
Hiroshima, als die Bombe fiel. In die offenen Wunden, die auf den Wangen und an
den Ohrläppchen durch die Verbrennungen entstanden waren, kamen Maden und
fraßen ihm das rechte Ohrläppchen ab. Seine Hand war so furchtbar verbrannt,
daß die Finger praktisch zusammenschmolzen und wie eine große Handfläche ohne
Finger aussahen. Sein Körper bestand nur noch aus Haut und Knochen. Selbst wenn
er auf mehreren dicken Decken lag, jammerte er noch, die Matten seien so hart,
daß er es nicht aushalten könne. Einmal hätte er sogar aufgehört zu atmen und
wie tot dagelegen. Aber Dr. Hosokawa behandelte ihn weiter und hat seinen
Gesundheitszustand letzten Endes merklich gebessert.
Die Frau von der Wassermühle ist kaum gegangen,
da kommt Yasukos Vater. Er hat sich’s überlegt, sagt er, er will sämtliche
Arztkosten für Yasuko aus ihrer Mitgift bezahlen. Mein Mann sieht aus, als sei
er bis ins Innerste verletzt, entgegnet aber nichts, sitzt da mit
untergeschlagenen Armen und starrt auf den Fußboden. Ich habe den Eindruck, er
ist völlig verstört.
Siebzehntes Kapitel
Shigeko begann durch die ständige Belastung mit
Yasukos Pflege unter Schwindelanfällen zu leiden, deshalb nahmen sie eine
Pflegerin, die nach ihr sah, und sie kamen überein, daß Shigematsu Yasuko an
den ungeraden Tagen des Monats, ihr Vater sie an den geraden Tagen besuchen
sollte. Shigeko hatte, wie man feststellte,
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