Schwarzer Regen
Die Schiebewände am Eingang und an der Veranda waren geschlossen.
Er räusperte sich ein paarmal laut, worauf eine der Türen an der Veranda
langsam und vorsichtig aufging. Er leuchtete mit der Taschenlampe und sah
Shigeko in einem viel zu kurzen Nachtkimono dort stehen.
„Warte einen Augenblick“, murmelte sie.
Er machte sofort das Licht aus. Sie schloß die
Tür hinter sich, hockte sich auf den Rand der Veranda, die in den Garten
hinausreichte, und flüsterte Shigematsu ins Ohr.
„Vielleicht schläft Yasuko noch nicht, man kann
nie wissen. Wir wollen uns lieber draußen unterhalten.“
„Na gut“, murmelte Shigematsu. „Ist denn
irgendwas mit Yasuko geschehen? Red doch endlich!“
Shigeko trat auf die Steintreppe, schlüpfte in
ein Paar Sandalen, und vorsichtig auftretend, um jedes Geräusch zu vermeiden,
führte sie Shigematsu unter den Kemponashi-Baum.
Erst als sie ihn losließ, wurde ihm bewußt, daß
sie ihn an der Hand dorthin geführt hatte. Sie waren beide zum erstenmal so
gegangen — auch damals, vor ihrer Heirat oder als seine alte Mutter, die vor
einem Jahr gestorben war, noch bei ihnen wohnte, hatten sie sich nicht auf
Zehenspitzen in den Garten geschlichen wie ein verliebtes Paar.
Im Garten war es trotz des dichten Nebels
erstaunlich hell. „Shigematsu“, begann Shigeko und strich sich hastig ein paar
widerspenstige Haare aus der Stirn, wie sie es immer tat, wenn sie sich
aufregte, „ich muß dir einfach sagen, was ich heute von Dr. Kajita erfahren
habe. Es braucht niemand anders etwas davon zu hören.“
„Nun gut, erzähle. Uns kann hier niemand hören.“
Einige Zeit vorher, etwas nach neun, als Yasuko
in einen leichten Schlummer gefallen war, hatte sich Shigeko unbemerkt zu Dr.
Kajita begeben, um ihn nach dem Ergebnis der ersten Untersuchung von Yasuko zu
befragen. Nach Ansicht des Arztes mußte Yasuko heimlich in Gesundheitsbüchern
nachgeschlagen und versucht haben, ‘ sich selbst zu kurieren. Wenn diese
Geschichte durchsickerte, meinte Shigeko, würden die Leute den Eindruck
gewinnen, Shigematsu und seine Frau hätten versäumt, etwas gegen die
Strahlenkrankheit zu unternehmen, bis es wirklich ernst geworden war — ein
Gedanke, der durch die weit verbreitete Vorstellung, die Krankheit sei sowieso
unheilbar, ohnehin fruchtbaren Nährboden fand. Erst vor kurzem war ein
ähnlicher Fall in einem der benachbarten Dörfer aufgetreten. Mitunter, hatte
Dr. Kajita gesagt, könnte das Anstandsgefühl einer jungen Frau in geradezu schicksalhafter
Weise ein tragisches Ende herbeiführen.
„Zuerst bekam sie Fieber“, flüsterte Shigeko,
„da hat sie dann in einem Gesundheitsbuch nachgesehen und Aspirin genommen.
Aber es ging nicht runter, also schaute sie wieder nach und nahm Santonin.“
„Aber das ist doch gegen Würmer, oder?“
„Ja. Später hatte sie Durchfall, und das Fieber
ging nach einigen Tagen runter. Dann bildete sich ein schmerzhaftes Geschwür an
ihrem Gesäß. Sie genierte sich, zum Arzt zu gehen, und strich eine
antibiotische Salbe darauf, weil sie es für eine unanständige Krankheit hielt.“
„Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, hat sie
schon ziemlich lange nicht mehr das Bad benutzt. Sie muß Angst davor gehabt
haben, andere dadurch anzustecken.“
„Dann ging das Geschwür auf, und sie fühlte sich
ein wenig besser, aber die Temperatur stieg wieder, und das Haar begann
auszufallen. Da erst ahnte sie voller Entsetzen, daß es die Strahlenkrankheit
sein könnte, und sie aß drei oder vier Aloeblätter. Erst danach brach sie
zusammen. Das alles habe ich von Dr. Kajita erfahren.“
„Jetzt, wie du davon sprichst, fällt mir ein,
daß die Wurzeln der Aloe in die Höhe standen, als ob jemand daran gerissen
hätte. Die Blätter sollen doch gut gegen Anämie sein, nicht? Sie hat sicher
geglaubt, es würde die Zahl der Blutkörperchen erhöhen, armes Mädchen.“
„Armes Mädchen, ja — aber schlimmer noch ist
diese törichte Einfalt, das macht mich ganz verrückt. Warum mußte sie sich nur
wegen einem einfachen Geschwür so anstellen? Warum konnte sie uns das nicht
früher sagen? Ich bin sicher, sie hatte keinen Grund, etwas Unangenehmeres zu
befürchten...“ Die Stimme versagte ihr, und sie seufzte tief.
Auch Shigematsu stieß einen Seufzer aus. Wie die
Dinge nun lagen, konnten sie nichts weiter tun als dafür sorgen, daß Yasuko
reichlich zu essen bekam und sich ausruhte, um auf eine glückliche Wendung zu
hoffen und dem Arzt eine Chance zu geben.
Am
Weitere Kostenlose Bücher