Schwarzer Regen
ihr Herz überanstrengt.
Mitte August wurde es im Hochland, wo Kobatake
lag, ungewöhnlich heiß. Selbst der unbeteiligte Betrachter mußte erkennen, daß
Yasukos Zustand nahezu hoffnungslos war. Sie klagte über Ohrensausen, hatte
keinen Appetit, verlor bei jedem Kämmen viel Haar, und die roten Schwellungen
am Gaumen wurden immer deutlicher.
Dr. Kuishiki tippte auf Parodontitis. Er
untersuchte ihre Mantoux-Reaktion, nahm Blutproben und gab ihr eine weitere
Tagesdosis Sulfadiazin. Die Tabletten waren denen ähnlich, die sie am zweiten
Tag im Krankenhaus bekommen hatte, und sie mußte alle viereinhalb Stunden eine
nehmen.
„Muß ich diese Tabletten wirklich wieder
nehmen?“ fragte sie und blickte unschlüssig drein.
„Ja, das mußt du“, erwiderte Shigematsu.
Die Pflegeschwester erzählte ihnen, daß die
Kranke regelmäßig einmal am Tag einen heftigen Schmerzanfall bekam. Während
dieser Attacken litt sie unerträglich, wälzte und krümmte sich vor Schmerzen
und wurde am ganzen Körper geschüttelt. Meistens kamen sie spät in der Nacht.
Sie wurde so hinfällig, daß es einen jammerte.
Ihre trockenen, rissigen Lippen hatten die gleiche Farbe wie die Haut, die
Fingernägel waren stumpf und lehmfarben.
Eines Tages wollte Shigematsu in ihren Mund
sehen. Dabei bemerkte er zum erstenmal, daß ihre oberen Schneidezähne fehlten,
obwohl die Wurzeln noch drinsteckten. Bis vor ein paar Tagen war der ganze Zahn
locker gewesen, auch die Wurzel, aber jetzt waren sie einfach unterhalb der
Wurzel abgebrochen. Der Gaumen zeigte Schwellungen und blutete ständig. Sie
spülte den Mund mit einer Borsäurelösung, aber das brachte die Blutung nicht
zum Stillstand. Wenn sie den Mund eine Weile geschlossen hielt, bildete sich
zwischen den Lippen langsam ein dünner roter Streifen.
Am Gesäß hatten sich zwei weitere Abszesse
gebildet, und da sie dicht nebeneinanderlagen, begannen sie sich auszubreiten
und ineinander überzugehen wie Rankengewächse in einem Garten. Die alten
Geschwüre hatte man herausgeschnitten, aber die Wunden wollten nicht heilen.
Das Fleisch blieb rot und schwammig wie eine geplatzte Wassermelone. Die Haut
um die Geschwüre war von einer dunklen bläulichgrünen Verwesungsfarbe.
Shigematsu hatte das natürlich nicht selbst gesehen, aber die Schwester, die
ihn bis unten zur Treppe begleitete, erzählte es ihm.
Wie immer er es auch betrachtete, er sah keinen
Hoffnungsstrahl. Als er dem Chefarzt in die Arme lief, fragte er ihn aus,
erhielt aber auch keine eindeutigen Antworten.
„Die Blutsenkung ist nicht in Ordnung, muß ich
gestehen“, sagte der Arzt. „ Irgend etwas stimmt nicht
mit dem Blut. Unter dem Mikroskop sieht man eine Menge Schatten, die nicht zu
identifizieren sind, und sie hat nicht einmal die Hälfte an roten
Blutkörperchen, die sie haben müßte.“
Das bedeutete also, daß er sie aufgegeben hatte.
„Die nicht zu identifizierenden Schatten“, sprach der Arzt weiter, „könnten
möglicherweise abnorm geformte weiße Blutkörperchen sein, aber dann wären es
wiederum viel zu viele.“ Shigematsus Innerstes wehrte sich gegen diese vagen,
drohenden medizinischen Begriffe, die nur sein Schuldgefühl gegenüber Yasuko
erhöhten. Die Ursache ihrer Strahlenkrankheit war höchstwahrscheinlich nicht
nur der schwarze Regen, sondern auch der Weg durch die noch heiße Asche der
zerstörten Stadt. Er erinnerte sich daran, wie sie sich auf dem Weg von der
Aioi-Brücke nach Sakan-cho den Ellenbogen abgeschürft hatte, als sie unter den
herunterhängenden Stromleitungen hindurchkrochen. Vermutlich verschaffte diese
Schürfwunde der tödlichen radioaktiven Asche Zugang zu ihrem Körper. Es war
falsch von ihm gewesen — wenn solche Anschuldigungen jetzt auch nichts mehr
nützten — , die Frauen den ganzen Weg von der
Japan-Transport-Filiale in Ujina bis zur Fabrik nach Furuichi mitzuschleifen.
Wenn er Herrn Sugimura, den Filialleiter, darum gebeten hätte, wäre er sicher
einverstanden gewesen, Yasuko zwei oder drei Tage dazubehalten. Shigematsu
bildete sich ein, daß in dieser Hinsicht die ganze Schuld bei ihm lag; denn er
war es ja, der Yasuko überhaupt nach Hiroshima gebracht hatte.
Eines Tages kam von der Hosokawa-Klinik aus dem
Dorf Yuda ein Brief mit einer Anlage. Dr. Hosokawa war ein älterer Herr und
hatte den Brief mit altmodischer Förmlichkeit abgefaßt.
Sehr geehrter Herr!
Ich möchte Ihnen noch einmal für den gedörrten
Ayu danken, den Sie freundlicherweise bei Ihrem letzten
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