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Schwarzer Regen

Schwarzer Regen

Titel: Schwarzer Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Masuji Ibuse
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hergekommen, um etwas zum Mittagessen
mitzunehmen.“ Es war das erste beste, was mir einfiel, aber insgeheim entschloß
ich mich, wirklich nach Koi zu gehen und es dort zu versuchen.
    Sie hatten recht, überlegte ich mir. Ich war
ungewohnt früh zur Arbeit gekommen. Ich hätte es besser.wissen müssen und nicht
so aus der Reihe tanzen dürfen. Früher, als ich in Hiroshima wohnte, war ich an
siebenundzwanzig oder achtundzwanzig Tagen im Monat zwischen zwölf und halb
eins im Werk angekommen. Warum mußte ich ausgerechnet heute so früh eintreffen?
Kein Wunder, daß es die Arbeiter nervös gemacht hatte. Seit dem Abwurf der
Bombe über Hiroshima fragte sich jeder, wann der Feind landen würde oder wann
die ganze Nation aufgerufen würde, sich selbst aufzuopfern; und im Innersten
ihres Herzens mußten die Fabrikarbeiter genauso verstört sein wie ich. Das
schlimme war, daß wir gewissermaßen alle an Händen und Füßen gebunden waren und
jeden Impuls, Angst oder Besorgnis, geschweige denn Unzufriedenheit zu zeigen,
gewaltsam unterdrückten. So groß war die Macht des Staates.
    Das Frühstück bestand aus Gerstenbrei mit Schrot
und Miso-Suppe mit gehackter Petersilie; als Mittagessen erhielt ich Fladen aus
dem gleichen Gerstenbrei, dazu in Sojasoße gekochte Muscheln. Normalerweise aß
man Petersilie von April an nicht mehr wegen der Eier und Larven der Blutegel,
die daran hafteten. Ein älterer Arbeiter neben mir sagte zu der Frau, die das
Essen brachte: „Haben Sie die Suppe gut durchgekocht?“
    „Ja, doppelt so lange wie sonst“, erwiderte sie.
    „Die Zukost aus Muscheln in meinem Essen, sind
das Venusmuscheln?“ warf ich ein.
    „Nein, Shiofuki. Die Frau vom schwarzen Markt
brachte ein paar in Seewasser gekochte, und der Koch hat sie dann in Sojasoße
eingelegt. Die anderen bekommen auch welche.“
    In den Fischerorten entlang der Strecke
nachMiyajima-so erzählte mir Tanaka — war man dazu übergegangen, Shiofuki in
Seewasser zu kochen oder sie zu einem Brei zu zerstampfen und runde Kuchen
daraus zu formen, zum Verkauf auf dem schwarzen Markt. Man benutzte Seewasser,
weil die offizielle Salzration auch auf. den schwarzen Markt ging. Salz wurde
von Tag zu Tag kostbarer. Wenn man zu lange ohne Salz lebte, so wußte Tanaka zu
berichten, würde man so schwach, daß man nicht einmal eine Fliege mit der
linken Hand erschlagen könnte, die sich auf die rechte Hand gesetzt hatte.
    Ich machte mich auf den Weg nach Koi. Wie schon
am Morgen des vorigen Tages wurden die Rauchsäulen der Scheiterhaufen immer
seltener, als wir uns, von Fu-ruichi kommend, über Gion und Yamamoto der
zerstörten Stadt näherten. Man konnte wieder nur zu Fuß von Yamamoto nach
Yokogawa gelangen. Es ist nur eine Station von Yokogawa bis Koi-machi, deshalb
ging ich auf den Gleisen. Ich wußte nichts Genaues, ob es überhaupt einen
Kohlenzug auf den Nebengleisen am Bahnhof in Koi gab, aber ich fühlte mich so
getrieben, als jagte ich meinem eigenen Schatten nach, der schwach auf die
Bahnschwellen vor mir fiel.
    Als ich mich zufällig einmal umdrehte, sah ich
einen blassen Regenbogen, der sich durch die düster leuchtende Morgensonne am
leicht bewölkten Himmel zog. Das war eine Seltenheit. Ich erinnerte mich sehr
deutlich, wie ich als Kind spätabends einmal einen silbernen Regenbogen
bestaunt hatte, der sich von den nahe gelegenen Bergen in den Himmel schwang,
aber hier sah ich so etwas zum erstenmal bei Tage.
    Auf dem Bahnhof von Koi hielten der
Stationsvorsteher und seine Beamten eine dringende Besprechung ab. Ich beschloß
zu warten, bis sie fertig waren. An den Wänden des Wartesaals klebten überall
Vermißtenanzeigen, und ein Angehöriger der Militärpolizei machte seine Runde
und inspizierte jede von ihnen. Er hatte etwas Wichtigtuerisches an sich, das
mich ärgerte.
    Die Bänke waren ohne Ausnahme von Opfern des
Fliegerangriffs belegt. Auf einer, die der Sperre am nächsten stand, lagen zwei
Kinder auf dem Rücken, völlig nackt, nicht einmal Unterhöschen hatten sie an.
Ein alter Mann und eine alte Frau hockten mit geschlossenen Augen neben ihnen.
Der alte Mann wandte sein Gesicht den Kindern zu und machte gelegentlich die
Augen halb auf. Das alte Paar, so vermutete ich, war mit den Enkelkindern
zurückgeblieben ohne Hab und Gut und ohne einen Menschen, an den sie sich
wenden konnten.
    Die Beratung des Stationsvorstehers ging
schließlich zu Ende, und ein brechend voll besetzter Zug passierte den Bahnhof
in Richtung Stadt. Er hatte

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