Schwarzer Regen
jegliche Bemerkung über die Party von gestern abend. „Ich habe den
Stationsvorsteher in Koi gebeten, sich wegen der Kohle zu erkundigen“, sagte
ich. „Bis morgen oder übermorgen werden sie etwas herausbekommen haben,
entweder Gutes oder Schlechtes. Wenigstens bin ich ziemlich sicher, daß sie
etwas in Erfahrung bringen.“
„Vielen Dank“, sagte der Geschäftsführer düster.
„Übrigens, Shizuma, was halten die Leute in Hiroshima davon?“
„Ich bin heute nicht in Hiroshima gewesen“,
erwiderte ich. „Aber was meinen Sie überhaupt?“
„Natürlich die wichtige Rundfunkmeldung morgen.
Im Rundfunk haben sie angesagt, daß morgen mittag eine
wichtige Mitteilung kommen würde. Wir überlegten gerade, was das sein könnte.“
Mir lag etwas auf der Zunge. Ich hatte keine
Ahnung, welcher Art die „wichtige Meldung“ war, aber höchstwahrscheinlich
bedeutete sie entweder Friedensverhandlungen, Kapitulation oder
Waffenstillstand. Aufrufe, bis zum letzten Mann auf japanischem Boden
durchzuhalten, waren inzwischen so üblich geworden, daß man deswegen keine
Sondermeldung ankündigen mußte.
Die Arbeiter schwiegen meist, aber ab und zu
fing doch einer von ihnen an zu sprechen, als wäre ihm gerade etwas
eingefallen. Irgendeiner antwortete dann, ein anderer stimmte dem zu, und
wieder ein anderer ging darauf ein. Das Ergebnis war zusammenhanglos, es gab
aber eine allgemeine Richtung: Ein weiterer Pulk von feindlichen Flugzeugen
hatte an diesem Tage das Gebiet unbehelligt überflogen, ohne dabei Bomben
abzuwerfen, und unsere Flak hatte nicht auf sie gefeuert. Auch gestern hatte
unsere Flak nicht geschossen. Mit Ausnahme des Angriffs auf Iwakuni heute
schien die Lage in den letzten zwei, drei Tagen anders als sonst, was
vermutlich bedeutete, daß die oberen Mächte bereits zu irgendeiner Übereinkunft
mit dem Feind gekommen waren und sie morgen mittag der Öffentlichkeit
bekanntgeben wollten. Dabei kam wahrscheinlich weder eine Friedenskonferenz
noch ein Waffenstillstand in Frage, wenn die feindlichen Flugzeuge bereits
umherflogen, als ob sie hier zu Hause wären. Folglich war die einzige
Möglichkeit Kapitulation, was sicherlich bedeutete, daß der Feind — ebenso wie
es die japanische Armee mit den in Übersee besetzten Gebieten getan hatte — in
Japan landen, die Häfen besetzen und die japanischen Streitkräfte entwaffnen
würde... Oder konnte es sein, daß die wichtige Meldung eine Kriegserklärung an
die Sowjetunion beinhaltete? Das hieße dann allerdings, daß Japan es fast mit
der ganzen Welt im Alleingang aufnahm. Was sollte aus den japanischen
Streitkräften werden, die in Übersee lagen? Was aus der Zivilbevölkerung zu
Hause? Bisher hatte man den Eindruck, das Leben könnte nicht schlimmer sein als
zum gegenwärtigen Zeitpunkt, aber wenn es darum ging, daß eine ganze Nation
ausgelöscht werden sollte, war der einzelne bereit, das Seinige zu tun. (Nur
was das Seinige war, das wußte keiner so recht.) Der Feind hatte die
militärische Macht auf seiner Seite. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde man
jeden männlichen Japaner kastrieren... Hätte man nicht vor dem Abwurf der Bombe
kapitulieren können? Nein — nur weil die Bombe gefallen war, ergab sich Japan.
Und trotzdem, der Feind muß gewußt haben, daß Japan bereits geschlagen war; es
wäre kaum nötig gewesen, die Bombe abzuwerfen. Wie dem auch sei, diejenigen,
die diesen Krieg begonnen hatten, trugen die Verantwortung...
An diesem Punkt lief die Unterhaltung Gefahr,
sich auf verbotenes Territorium zu begeben; es wurden keine weiteren
Mutmaßungen angestellt.
Ich legte dem Geschäftsführer noch einmal meine
Abmachungen mit dem Bahnhof von Koi dar.
„Gut“, sagte er, „vielleicht könnten Sie die
Papiere für den Stationsvorsteher von Koi bis morgen mittag fertigmachen. Wegen
dieser wichtigen Rundfunkmeldung möchte ich, daß alles schriftlich fixiert
wird, damit es hieb- und stichfest ist, wer auch immer sich später für die
Dinge interessiert. Wir sollten jedenfalls Mißverständnisse, wie schon mal
gehabt, vermeiden. Betrachten Sie es übrigens als eine Anordnung des
Geschäftsführers.“ Er sprach sehr deutlich, damit es die in der Nähe stehenden
Arbeiter auch hören konnten.
Zu dem „Mißverständnis“, auf das er anspielte,
war es im Frühjahr gekommen, als ein Waggon Kohle versehentlich an eine andere
Firma gegangen war und man uns in Verdacht hatte, wir hätten ihnen die Kohle
unter der Hand zuschanzen wollen. Später
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