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Schwarzer Regen

Schwarzer Regen

Titel: Schwarzer Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Masuji Ibuse
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hörte es
sich auch an wie: „Sich so reinlegen zu lassen — und gerade unter diesen Umständen.“
    Viele andere Flüchtlinge gingen auf dem
Uferstreifen. Nojima schritt so schnell aus, daß mir die Kehle trocken wurde
und die Beine weh taten. Schon bald war ich nicht mehr imstande, mit ihm
Schritt zu halten. Shigekos Umhängebeutel wirkte auch von Augenblick zu
Augenblick schwerer, mein eigener Rucksack nahm an Gewicht zu, und auch Yasukos
Rucksack sah so aus.
    „Es tut mir leid, Herr Nojima“, sagte ich und
blieb stehen. „Ich muß hier aufgeben.“
    Nojima blieb auch stehen. „Mir tut das erst
leid, wirklich und wahrhaftig“, sagte er mit einem Ausdruck größter
Zerknirschtheit. „Wirklich schlimm, Sie auf eine falsche Fährte zu jagen, und
das in so einer Situation. Aber Sie sehen ja selbst, wie das passiert ist.“
    „Was können Sie denn dafür?“ sagte Shigeko. Und
nach einer winzigen Pause: „Nun dann, Glück auf den Weg, und sehen Sie sich nur
gut vor, Herr Nojima.“
    „Ja dann“, entgegnete er, „was sollen wir noch
länger beisammenstehen, ich seh zu, daß ich weiterkomme. Ich bitte nochmals um
Entschuldigung. Machen Sie’s gut.“
    Er tippte kurz an seine Luftschutzkapuze,
schwang sich herum und marschierte in scharfem Tempo los. Irgendwie war das
ganz verdreht, sich von dem gebildetsten und bestinformierten Mann in unserer
Nachbarschaftsvereinigung unter solch peinlichen Umständen zu trennen. Das
schlimmste daran war ja, daß er so stolz war, weil alle ihn immer als Muster an
Voraussicht und Gründlichkeit betrachtet hatten.
    Meine Kehle brannte, ich nahm die Wasserflasche
aus dem Rucksack und trank. Sobald Nojima verschwunden war, schulterte ich
wieder den Rucksack. „Schadet auch nichts“, sagte ich, um vorzufühlen, wie
Shigeko darüber dachte. „Wir können Nojima eigentlich dankbar sein, daß er uns
zugeredet hat, nach Ujina zu gehen. So haben wir uns wenigstens dazu
durchgerungen.“ Das Feuer in Hiroshima dehnte sich immer weiter aus, deshalb
erschien es mir vernünftig, allem für eine Weile aus dem Weg zu gehen.
    In der Geschäftsstelle von Japan-Transport in
Ujina war kaum eine Glasscheibe in den Büroräumen ganz geblieben. Sugimura, der
Filialleiter, fragte mich, wie es in den Furuichi-Werken der Japanischen
Textilgesellschaft aussehe. Ich sagte ihm, ich wüßte nichts davon, weil ich auf
halbem Wege zur Arbeit umgekehrt sei. Ich konnte ihm auch nur bruchstückhaft
schildern, was in Hiroshima passiert war. Als ich ihm Miyajis Geschichte
erzählte, daß der Turm des Schlosses von Hiroshima über hundert Meter weit
geflogen sei, schluckte er und sagte: „Wie, der Turm?“ Ich übergab ihm ein
Versandavis an Japan-Transport von den Furuichi-Werken, erhielt eine Quittung
und übermittelte mündlich noch einige vertrauliche Dinge. Der Geschäftsführer
versorgte uns freundlicherweise mit ausreichendem Essen: Reiskuchen aus frisch
gekochtem Reis mit eingelegtem Rettich und Gemüse, das in Sojasoße und Zucker
eingekocht war — für drei Personen. Es schien uns ein unerhörter Luxus. Als wir
gegessen hatten, dankten wir ihm und machten uns wieder auf den Weg, die Straße
entlang, durch die sonst die Elektrische fuhr.
    Der Zug der Verwundeten hatte nicht im mindesten nachgelassen, und die Anzahl der Schwerverletzten
war wesentlich größer als am Morgen. Besonders fiel mir ein Mann auf, dessen
Schulterblätter fast sichtbar waren. Ein anderer umklammerte einen Bambusstock
und humpelte auf einem Bein, das andere Bein war notdürftig geschient. Ein Mann
und eine Frau trugen ein totes, blutbedecktes Kind auf einer Tür. Ich sah eine
Frau mit blutverklebtem Haar, deren Gesicht, Schultern und Arme so von Blut
überströmt waren, daß nur Augen und Zähne weiß schimmerten. Als wir uns ihnen
näherten, starrte Yasuko sie wie gebannt an. „Ach Onkel! Sieh mal die Frau!“
sagte sie. „Tante Shigeko! Sieh bloß mal den Mann dort!“ Immer wieder mußte ich
ihr sagen: „Da sieht man nicht hin. Wir können ihnen jedenfalls nicht helfen, sei lieber still und komm weiter. Blick zu Boden!“
    Als wir die Miyuki-Brücke erreichten ,
war in der Gegend, wo unser Haus stand, nichts mehr zu sehen. Qualmwolken
trieben über dem Boden nach Osten. Gut, daß wir uns erst mal nach Ujina
gewendet hatten. Um den Hitzewellen auszuweichen, ging ich voran über den
Sportplatz, über die kleine Brücke ohne Namen, durch die Gemüsegärten und kam
hinter unserem Haus heraus. Shigeko und Yasuko folgten

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