Schwarzer Regen
solche Hitze zu
bringen. Ich konnte nicht einmal mehr sicher sein, ob wir lebendig durchkamen,
wenn uns auch hin und wieder Leute begegneten. Das beruhigte mich einigermaßen.
Wenigstens Yasuko mußte ich doch sicher herausführen. Sie nach Hiroshima zu
holen, damit sie der Dienstverpflichtung entging, war mein eigener, schlecht
überlegter Einfall gewesen. Um sie mußte ich mich mehr sorgen als um meine
Frau. Einmal, als der Qualm uns zwang stehenzubleiben und Rauch und Hitze mit
Macht auf uns eindrangen, hätten wir kaum noch Luft gekriegt, wäre nicht gerade
in dem Moment ein Wind aufgekommen. Yasuko gab einen schrillen, halb erstickten
Schrei von sich, und ich mußte ihr zurufen: „Bleib stehen! Wenn du einen
Schritt weitergehst, gerätst du ins Feuer. Da ist die reinste Hölle, gerade vor
uns. Du verbrennst sofort!“ Als wir die Sagino-Brücke erreichten, wurde der
Rauch schon dünner, denn die Nordostviertel der Stadt waren zuerst
niedergebrannt. Zur Rechten konnten wir verschwommen den Futaba-Berg ausmachen.
Der Wolkenpilz hatte sich aufgelöst. „Wir sind durch“, rief ich ihnen zu, in
der Hoffnung, ihnen Mut zuzusprechen. „Wir haben’s geschafft und leben noch!“
Aber sie konnten vor Erschöpfung nicht antworten. Beide hatten blutunterlaufene
Augen, Augen rot wie Blutflecken. An Ausruhen war nicht zu denken, so ging ich
einfach weiter voran.
Uns umgab ein Meer von Holzkohle. Unzählige
halbverbrannte Balken glimmten noch, und Rauchwölkchen stiegen träge in die
Luft. Im Nordosten, um Yokogawa, tobte ein großer Brand, und riesige
Flammensäulen schossen in den Himmel. Vom Hakushima-Schrein gab es nur noch die
steinerne Umfriedung. Die drei Kampferbäume beim Kokutaiji-Tempel, deren Stämme
einen Durchmesser von nahezu zwei Meter hatten, waren sämtlich entwurzelt und
umgestürzt, durchgeglüht und verkohlt. Sie bewahrten aber immer noch die
Gestalt von Bäumen, ihre großen Wurzeln ragten in die Luft. Die Gedenksteine
für die getreuen Samurais von Ako, die daneben gestanden hatten, waren alle
nach hinten umgefallen, während die Grabsteine der Asano-Familie gegenüber
umgestürzt durcheinander am Boden lagen. Es hieß, die Kampferbäume seien über
tausend Jahre alt gewesen, heute hatte sie nun ihr Geschick ereilt.
Auch hier erschwerte der an den Sohlen klebende
Asphalt das Gehen. Das Blei der Stromkabel war geschmolzen und zu Boden
getropft, so daß am Straßenrand eine Kette von silbernen Tropfen lag. Auf der
Hauptstraße hatten sich die Stahlmaste, die die Oberleitung der Elektrischen
hielten, verbogen, die zerrissenen Drähte hingen lose herab. Ich hielt mich
instinktiv von ihnen fern, da ich annahm, irgendein Draht könnte noch unter
Strom stehen. In diesem Gebiet sah man weit weniger Leichen auf der Straße. Sie
nahmen hundert verschiedene Stellungen ein, doch die meisten, über achtzig
Prozent, hatten das Gesicht nach unten gekehrt. Eine Ausnahme bildeten ein Mann
und eine Frau, die mit dem Gesicht nach oben neben der Verkehrsinsel an der
Straßenbahnhaltestelle Hakushima lagen, die Knie hochgezogen, die Arme schräg
über den Leib gestreckt. Die Leichen waren völlig nackt und schwarz verbrannt, unter
ihnen eine große Kotlache. Ein solches Bild hatte ich sonst nirgends gesehen.
Alles Haar an Kopf und Körper war abgesengt, und man konnte nur an den Umrissen
— der Brüste zum Beispiel — Mann oder Frau unterscheiden. Wie konnten sie nur
auf so groteske Weise zu Tode kommen? Das fragte ich mich immer wieder. Shigeko
und Yasuko gingen an den beiden Leichnamen vorüber, ohne auch nur hinzublicken.
Und immer wieder stießen wir auf Leichen, immer mehr Leichen. Von der Hitze
getrieben und im Qualm eingeschlossen, hatten sie sich in ihrer Qual lang
hingeworfen, waren nicht wieder hochgekommen und hatten dort ersticken müssen.
Das konnten wir aus den Erlebnissen auf unserer eigenen Flucht schließen.
Hatten wir nicht selbst am Rande eines ähnlichen Schicksals gestanden?
Siebentes Kapitel
Shigematsu arbeitete weiter an der Niederschrift
seines „Tagebuchs von der Bombe“. In diesem Monat, ging es ihm durch den Kopf,
folgte ein Fest dem anderen. Die Messe für die Toten Insekten war bereits
vorüber. Das Fest des Reisauspflanzens kam am Elften und am Vierzehnten nach
dem alten Mondkalender das Iris-Fest. Am Fünfzehnten würde das Fest der
Flußkobolde folgen und am Zwanzigsten das Fest der Bambusernte. Aus diesen
unzähligen kleinen Festen glaubte er die Hingabe zu spüren, mit
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