Schwarzer Regen
drohend im Osten erhoben, und die zunehmende Zahl
der Verwundeten, die sie auf ihrem Weg nach Osten treffen mußten, ihnen
beweisen, daß es unmöglich sei, nach Senda-machi durchzukommen. Sie würden
annehmen, daß Senda-machi bereits in Flammen stünde. Und da der einfallsreiche
Nojima die Gruppe führte, war es so gut wie sicher, daß sie die Straßen
verlassen und mit einem Boot bis nach Ujina fahren würden. Nojima hatte immer
gesagt, wenn Hiroshima angegriffen wird, würde er sich in einem Fischerboot
nach Ujina absetzen. Er hatte mir erzählt, er habe eine Übereinkunft mit einem
Angler in Ujina und einem Fischer in Miyazu getroffen, damit er jederzeit ein
Boot mieten könnte. Ich konnte mich damals nicht genug über die Weite dieser
Voraussicht wundern.
„Ich bin ziemlich sicher, daß Nojima in Ujina
anlegen wird“, sagte ich. „Er wird bestimmt nicht auf der Chaussee zurückkommen,
wenn er das Feuer sieht. Er könnte es nicht mal, selbst wenn er wollte. Wenn
sie in Ujina aussteigen, wird Yasuko bestimmt zu der Filiale von
Japan-Transport gehen. Ich hab da dringend geschäftlich zu tun und müßte heute abend sowieso hin. Und Yasuko weiß das, deshalb wird sie
gewiß dort auftauchen.“
Meine Frau stimmte mir zu, und so beschlossen
wir, im Büro in Ujina zu warten. Trotzdem bauten wir auf den reinen Zufall,
denn es gab keinerlei Abmachung mit Yasuko, daß sie sich dort melden sollte.
Shigeko wandte sich dem Schwimmbecken zu, legte die Handflächen aneinander und
betete still.
„Ich will nur hoffen, daß Ihre Yasuko sich in
Ujina sehen läßt“, sagte Frau Okochi. „Ich weiß nicht, ich werde jetzt doch
ziemlich kribblig.“ Sie sollte sich eigentlich hier am Bassin mit ihrem Mann
treffen, der in einer Bank arbeitete. Ihr einziger Sohn hatte sein Studium
beendet und war jetzt in der Armee irgendwo auf Sumatra, in Palembang,
stationiert.
In Ermanglung eines Besseren legte Shigeko ein
paar Ziegelbrocken von einer Mauer in Topf und Pfanne und versenkte sie im
Bassin, und ich sah zu, wie sie scheinbar schwerelos ins Wasser glitten und in
der Tiefe verschwanden.
„Ich habe vor, eines Tages zurückzukommen und
Pfanne und Topf zu holen“, sagte ich. „Ich hoffe nur, daß dieser Tag wirklich
kommt.“
„Das hoffe ich auch“, sagte Frau Okochi. „Also
dann, Glück auf den Weg. Und grüßen Sie Yasuko von mir.“
Shigeko und ich verließen den Sportplatz und
gingen zur Miyuki-Brücke. Der Tote an der Nordseite der Brücke hatte einen
schwarzen Fliegenschwarm um Mund und Nase. An den Ohren klebte so viel
geronnenes Blut, daß man kaum unterscheiden konnte,
was Blut und was Ohr war. Wir eilten gerade daran vorbei, als Shigeko hinter
mir sagte: „Wir sollten noch mal zu Hause hineinsehen. Yasuko könnte doch
zurückkommen, während wir unterwegs sind. Wir sollten ihr eine Nachricht
dalassen.“
Sie hatte recht. Ich ärgerte mich über meine
Dummheit, nicht gleich daran gedacht zu haben. Wir gingen zum Haus zurück und
suchten ein Stück Papier, um die Nachricht darauf zu schreiben, als Yasuko
plötzlich, wie aus dem Erdboden gewachsen, vor uns stand. Shigeko sank auf den
Tatami inmitten der Glassplitter nieder und brach in Tränen aus. Yasuko setzte
sich auf die Verandastufe zwischen Zimmer und Garten, den Rucksack auf dem
Rücken und die Kapuze des Luftschutzumhangs noch auf dem Kopf, und vergoß große
Freudentränen.
„Yasuko, wisch dir nicht im Gesicht herum“,
warnte ich sie. „Sieh mal, du hast Teer oder so was an der Hand. Welch ein
Glück, daß du gerade jetzt gekommen bist. Ein paar Minuten später wären wir
nach Ujina gegangen, um dich in der Filiale zu suchen.“
Da ich Yasuko in Pflege hatte — sie war fast wie
eine Tochter — , hätte ich meinen Schwiegereltern
nicht mehr gegenübertreten können, wenn ihr etwas zugestoßen wäre. Außerdem
hatte ich sie ja nach Hiroshima geholt. Junge Frauen aus Stadt und Land wurden
dienstverpflichtet und mußten in Rüstungsbetrieben arbeiten, wo sie Hämmer
schwangen und Granaten drehten. So hatte ich meine Stellung im Betrieb genutzt
und ein paar Verbindungen spielen lassen, damit Yasuko als Sekretärin und Bote
des Geschäftsführers eingestellt wurde.
„Ach, Onkel!“ rief sie. „Was ist denn mit deinem
Gesicht passiert?“
„Ach, das — nur eine kleine Verbrennung“,
erwiderte ich.
Sie erzählte uns, Nojima habe in Miyazu ein
Fischerboot gemietet und sie alle unterhalb der Miyuki-Brücke am rechten Ufer
des Kyobashi-Flusses an Land
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