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Schwarzer Regen

Schwarzer Regen

Titel: Schwarzer Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Masuji Ibuse
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der die Bauern
früher in ihrer Armut jedes Stückchen des Alltags ausgefüllt hatten. Und
während er weiter schrieb und die Schrecken jenes Tages lebendiger denn je vor
seinem Auge erstanden, hatte er das Gefühl, daß diese Festtage der Bauern in
ihrer Nichtigkeit etwas waren, das man lieben und bewahren sollte...
     
    Wir erreichten die Haltestelle in Kamiya-cho.
Hier kreuzten sich verschiedene Straßenbahnlinien. Zerrissene Oberleitungen und
Spanndrähte hingen in wirren Knäueln über der Straße. Ich wurde die Angst nicht
los, daß manche Drähte noch Strom führen könnten, weil man aus ihnen sonst
immer die wilden blauweißen Funken sprühen sah. Die wenigen Flüchtlinge, die
hin und her eilten, bückten sich alle so tief als möglich, wenn sie darunter
umherliefen. Ich wollte auf der linken Straßenseite über die Aioi-Brücke nach
Sakan-cho gehen, aber die Hitze der noch glosenden Brandherde schien uns den
Weg zu versperren. Ich versuchte, mich nach rechts zu wenden, aber eine Woge
glühend heißer Luft schlug mir entgegen, die auch den Tapfersten wankend
gemacht hätte, ich kehrte also wieder um. Als ich mich einem Backsteingebäude
im europäischen Stil näherte, kam ein großer Brocken glühender Holzkohle
herabgeflogen, ein Stück eines Fensterrahmens. Uns blieb nichts anderes übrig,
als mitten auf der Straße zu gehen. Es war ziemlich ausgeschlossen, daß die an
vielen Stellen zerrissenen Oberleitungen noch Strom führten, aber weil sie
kreuz und quer übereinanderhingen und zusammenstießen, konnte man sich schon
vor den geheimnisvollen Eigenschaften der Elektrizität fürchten. Unter einem
der herabbaumelnden Drähte lagen die verkohlten Leichen eines Mannes und zweier
Frauen. Wir waren auch zwei Frauen und ein Mann.
    „Kommt, wir müssen unter den Drähten lang!“ rief
ich. „Berührt um Himmels willen nicht die Drähte. Ich werde sie immer zur Seite
halten. Wenn ich einen Schlag bekomme, faßt nichts an als meine Kleidung. Habt
ihr verstanden? Ihr faßt mich unten am Hosenbein und zieht mich weg.“ Dann
machte ich es wie die anderen Flüchtlinge; mit einem Knüppel schob ich die
Drähte links oder rechts zur Seite, kroch auf allen vieren oder ging gebückt,
wenn es nötig war. „Paßt auf“, schrie ich wieder. „Wickelt euch ein Tuch um den
linken Ellenbogen, wie die anderen das gemacht haben. Ihr scheuert euch sonst
den Ellenbogen auf.“ Immer wieder mußte man unter den Drähten hindurchkriechen,
aber schließlich hatten wir es hinter uns. Wir blieben stehen und untersuchten
uns gegenseitig. Shigeko war völlig unversehrt, aber Yasuko hatte sich das Tuch
falsch um den Arm gewickelt und deshalb eine schmerzhaft aussehende Abschürfung
am Ellenbogen. Shigeko setzte sich neben sie auf einen Stein, strich
Mentholsalbe auf die Wunde und knotete ein Dreiecktuch. Da merkte ich mit
einemmal, daß wir uns vor einem Eingangstor befanden, das ich kannte. „Moment
mal“, sagte ich, „der Stein ist doch aus dem Garten von Herrn Omuro.“
    Diese Omuros waren eine alteingesessene Familie,
deren Stammbaum bis in die Edo-Zeit zurückreichte. Der jetzige Herr Omuro
betrieb chemische Forschungen zur Entwicklung von Spinnfäden. Er war
wohlhabend, besaß drei Fabriken an drei verschiedenen Orten, beschäftigte sich
mit Kalligraphie, malte und sammelte Kunstgegenstände. Im letzten Jahr hatte
ich ihn hier mehrfach aufgesucht, um seinen Rat in Fragen der Herstellung von
Textilien einzuholen. Er hatte ein geräumiges Wohnhaus mit einem großartigen
Garten im klassischen Stil. Jetzt war alles völlig dem Erdboden gleichgemacht.
Wo das Hauptgebäude und das aus Lehmwänden gebaute Vorratshaus gestanden
hatten, breitete sich nur noch eine öde Wüste aus, übersät mit zerbrochenen
Dachziegeln. Der Stein, auf dem Shigeko und Yasuko saßen, gehörte sicherlich
zum Steingarten des Grundstücks. Es war ein harter Felsen, und trotzdem fehlte
ringsum eine dünne Schicht.
    „Das ist doch ein Granitbrocken“, sagte ich.
„Ich denke mir, heute früh wuchs da noch Moos drauf.“
    „Ob wohl die ganze Familie vernichtet worden
ist?“ fragte Shigeko.
    Ich gab keine Antwort. Uns bot sich ein
greuliches Bild der Zerstörung. Anstelle des Zierteiches sah man ein
unregelmäßiges Stück schwärzlichen Morast. Am Fuß eines runden Erdhügels lagen
die verkohlten Skelette von drei großen Kiefern. Neben dem Stamm des dicksten
der drei Bäume stand noch ein schlanker Steinquader. Daß diese Säule allein
stehengeblieben

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