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Schwarzer Regen

Schwarzer Regen

Titel: Schwarzer Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Masuji Ibuse
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war, wirkte wie ein Wunder. Herr Omuro hatte mir einmal
erzählt, einer seiner Vorfahren, das lag schon Generationen zurück, habe den
Stein dort errichtet. Er war etwa drei Meter hoch, und anstelle der üblichen
langen Inschrift hatte man nur das Schriftzeichen „Traum“ etwa dreiviertel
Meter unter der Spitze eingemeißelt. Ein hoher Priester soll die Vorlage
geschrieben haben, und es hat damals wahrscheinlich als besonders elegant und
ausgefallen gegolten. Aber jetzt waren Eleganz und Raffinement dahin.
    Shigeko und Yasuko hatten totenbleiche
Gesichter. Mein Hals fühlte sich so trocken an, daß ich meinte, er würde sich
völlig schließen, und beim Gehen zuckte ständig ein Augenlid. Wir kamen zum
Eingang des West-Exerzierplatzes. Das Gras auf der Westseite der Böschung war
niedergebrannt, die Erde eben und kahl. Die Bäume schienen auf der Stelle zu
Holzkohle geworden zu sein, sie hatten die Zweige behalten, aber nicht ein
einziges Blatt. Das Haus des Divisionskommandeurs, das Lazarett, der Gokoku-Schrein
und der Turm des Schlosses waren verschwunden.
    Meine Augen begannen zu schmerzen, so massierte
ich sie beim Gehen, rieb die Augenlider mit den Fingern. Das tat weh, als hätte
ich Sand darin. Shigeko und Yasuko kamen ein bißchen zu sich und sprachen über
den Wolkenpilz, der sich nun aufgelöst hatte — über Form und Farbe, die Gestalt
des Stengels und über seine Bewegungen. Ich nahm an, daß meine Augen brannten,
weil ich zuviel Blut im Kopf hatte, und ließ mich von Yasuko so behandeln wie
ein Kind, das Nasenbluten hat. Man ließ sich einfach drei Haare am Hinterkopf
ausreißen. Trotzdem linderte es den Schmerz ein bißchen.
    Der West-Exerzierplatz war nichts als eine
riesige Sandfläche und erinnerte mich an die ungeheure Wüste, die ich einmal in
einem Film, „Marokko“, gesehen hatte. Selbst im Film schien die Wüste einen
Geruch von Sand auszustrahlen, und sie war völlig leer, ohne auch nur eine
Fußspur. Die sandige Einöde des Exerzierplatzes unterschied sich davon jedoch
ziemlich: Die heiße Luft, die aufstieg, stank nach Rauch, und viele menschliche
Fußspuren führten in die Berge. Es mußte geregnet haben. Der Sand war immerhin
so fein, daß man auf der Oberfläche Löcher in Bohnengröße erkennen konnte, und
die Zeitungen, die hier und da verstreut lagen, hatten auch zahllose schwarze
Flecken in der Größe von Saubohnen. Hier war offensichtlich der schwarze Regen
niedergegangen. Ich hatte zwar den Stengel des Wolkenpilzes für einen
Regenschauer gehalten, aber nicht geglaubt, daß die Tropfen so groß sein
konnten. An der Westseite des Platzes fanden wir eine Art runder schwarzer
Bälle im Sand. Zuerst konnte ich es mir gar nicht richtig erklären, bei näherem
Hinsehen aber erkannte ich, daß diese Klumpen einmal Zinnbleche waren. Sie
mußten von der Explosion losgerissen und in den Himmel geschleudert worden
sein. Die ungeheure Hitze hatte sie weich gemacht, und der Luftstrom hatte sie
dann zu Bällen geknetet, ehe sie herunterfielen. Um so rund zu werden wie
Klöße, müssen sie in den riesigen Feuersturm gesogen und rasend schnell darin
gedreht worden sein, bevor sie wieder zur Erde kamen.
    Ich blickte zurück über die Sandfläche. Eine
einsame Gestalt — ein Junge in Unterhosen und Unterhemd, das vorne im Wind
flatterte und den nackten Bauch sehen ließ — ging rasch auf die Berge zu. „He!“
rief er, wandte sich uns zu und winkte mit der Hand. Es wirkte sonderbar leer
und verloren. Wir gingen weiter nach Norden. Am Ufer beim Gokoku-Schrein stand
ein Wachtposten, Gewehr bei Fuß. Beim Näherkommen sahen wir, daß er tot auf
seinem Posten stand, mit dem Rücken gegen die Böschung gelehnt, die Augen
starrten, weit aufgerissen. Das Abzeichen am Kragen zeigte, daß er als
Gefreiter in der Armee gedient hatte. Er war etwa
sieben- oder achtunddreißig, also schon ziemlich alt für einen einfachen Soldaten,
und seine Züge zeugten von Bildung.
    „Wie der Soldat mit der Trompete“, meinte
Shigeko.
    „Sei still, Frau“, sagte ich streng, obwohl ich,
wenn ich ehrlich sein soll, auch an die Geschichte von dem Trompeter dachte,
den man im Chinesisch-Japanischen Krieg tot auf dem Posten gefunden hatte, mit
der Trompete noch an den Lippen.
    Das Gebiet war nahe der Stelle, über der die
Bombe abgeworfen wurde. Wir sahen noch so einen Toten an der Westecke der
Anlagen beim Schloß von Hiroshima. Ein junger Mensch auf dem Fahrrad mit einer
Kiste, als sei er unterwegs, eine Bestellung

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