Schwarzer Regen
für ein Restaurant auszufahren,
lehnte tot an der Steinbrüstung. Es war noch ein richtiger Junge, dünn wie ein
Grashüpfer. Bei den Luftschutzübungen hatte man uns immer eingehämmert, stetig
auszuatmen, während eine Bombe fiel. Vielleicht hatten der Wachtposten und der
Boten junge gerade in dem Moment eingeatmet, als die Bombe explodierte. Die
Physiologie der Erscheinung verstand ich nicht, aber ich meinte, eine Explosion
könne auf eine gefüllte Lunge einen solchen Druck ausüben, daß sofort der Tod
eintrat.
Wir ruhten uns gerade am Ufer aus, als ein
Bekannter, Polizeisergeant Susumu Sato, uns ansprach.
„Hallo, das freut mich, daß Sie gesund sind“,
sagte ich.
„Ihr Gesicht hat was abbekommen, was?“ entgegnete
er.
Ich unterhielt mich eine Weile mit ihm, ehe ich
zu den anderen zurückging. Er erzählte mir, Generalinspektor Otsuka vom
Bezirkskommissariat Chugoku sei unter den Trümmern seines Hauses begraben
worden und verbrannt. Ich hatte nicht gewußt, daß Sato vom Polizeirevier zum
Bezirkskommissariat Chugoku versetzt worden war, ja ich hatte nicht mal eine
Ahnung von der Existenz einer solchen Regierungsstelle. So erfuhr ich erst hier
von Sato, wie heftig die Feindangriffe geworden waren. Daher hatte man
entschieden, Japan darauf vorzubereiten, auch auf eigenem Boden zu kämpfen, und
diese örtlichen Regierungsstellen, die Bezirkskommissariate, eingerichtet,
damit man in jeder Region den Kampf unabhängig voneinander fortführen konnte,
falls feindliche Truppen das Land zerteilen sollten. Aus dem Grunde war auch
Munition und Kriegsmaterial in Fabriken und Volksschulen im ganzen Gebiet von
Hiroshima eingelagert worden.
„Aha, das ist also mit der Losung gemeint“,
sagte ich. „Der Krieg fängt gerade erst an.“
„Ja“, sagte Sato, „die großartige Politik von
der wohlhabenden und militärisch mächtigen Nation, die vor über einem halben
Jahrhundert begann, soll fortgesetzt werden. Deswegen dürfen wir das alles hier
überhaupt nicht als tragisches Finale ansehen. Genau dafür sind wir erzogen
worden. Schicksalhaft ist das.“
Das Kommissariat Chugoku, das sich in der
Universität der Freien Künste und der Naturwissenschaften in Hiroshima befand,
war für die fünf Präfekturen im Bezirk Chugoku zuständig. Der Generalinspektor,
Isei Otsuka, ein Mann mit der Ehrauffassung eines alten Samurai, hatte sich in
seiner offiziellen Residenz in Kami-Nagaregawamachi aufgehalten, als die Bombe
fiel, und war unter dem Haus begraben worden. Seine Frau konnte mit großer Mühe
noch aus den Trümmern kriechen, aber der General war hoffnungslos eingekeilt.
Sie hatte sich sehr aufgeregt, doch er hatte darauf bestanden, daß sie ihn
zurückließ. „Ich bin gefaßt auf alles, was kommt. Sieh zu, daß du fortkommst,
Frau, so schnell du kannst.“ Das Feuer war schon sehr nahe, so konnte sie
nichts anderes tun als fliehen.
„Der Generalinspektor ist auf der Stelle, auf
der er lag, eingeäschert worden. Eine grausige Geschichte“, sagte Sato. „Ich
wußte selbst nicht, wie ich den Flammen entkommen sollte.“ Tränen standen in
seinen Augen. Er war sonst immer gut aufgelegt und hatte ein offenes,
fröhliches Gesicht, aber jetzt waren die Augen blutunterlaufen und sein Gesicht
finster.
An der Uferstraße sahen wir dann, daß der
mittlere Teil der Misasa-Brücke fehlte. Also änderte ich den Plan und ging am
Ufer entlang flußabwärts, in der Hoffnung, über die Aioi-Brücke zu gelangen.
Unzählige Leichen lagen im Gebüsch an der Böschung zu unserer Rechten. Auf dem
Fluß kamen ständig Tote herabgeschwommen. Immer wieder blieb einer an den
Wurzeln der Weiden am Ufer hängen, drehte sich in der Strömung und hob
plötzlich das Gesicht aus dem Wasser. Oder es trieb einer schaukelnd heran, so
daß bald die obere Hälfte, bald die untere aus dem Wasser auftauchte. Oder
wieder ein anderer wurde mit einem Ruck unter einer Weide herumgedreht, wobei
sich die Arme erhoben, als wollte er nach einem Zweig greifen; man konnte einen
Moment lang denken, er sei noch am Leben.
Schon von weitem hatten wir eine Frau gesehen,
die tot quer über dem Pfad am Uferdamm lag. Yasuko lief vor uns her und kam
plötzlich, „Onkel! Onkel!“ schreiend, zurückgerannt und schluchzte. Ich sah
dann, daß ein kleines Mädchen, vielleicht drei Jahre alt, die Bluse der Toten
geöffnet hatte und an den Brüsten spielte. Als wir herankamen, griff sie fest
in beide Brüste und sah uns mit angstvollen Augen an. Was konnten wir für
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