Schwarzer Regen
leicht, aber
als ich dann las, die Augen auf meine Notizen gerichtet, spürte ich die
Anwesenheit meiner Gemeinde nicht mehr. Meine Geistesverfassung war jedoch weit
entfernt von dem idealen Zustand ruhevollen Selbstvergessens, vielmehr war es
ein Gefühl der Leere und Unwirklichkeit. Zwei-, dreimal stockte ich in meiner
Lesung, gelangte aber schließlich ans Ende, wandte mich den Versammelten zu und
verneigte mich.
„Vielen Dank, Herr Shizuma“, sagte der
Geschäftsführer, und von allen Seiten hörte man: „Seien Sie bedankt“, und: „Das
war sehr lieb von Ihnen.“ Meine Wangen glühten, ich war schrecklich verlegen;
so rasch ich konnte, drängte ich mich durch die Gruppe und zog mich ins Büro
zurück. Nicht lange danach meldete man einen weiteren Todesfall. Ich gab gerade
die Anweisung, noch einen Sarg zu zimmern, als mir der nächste Fall angezeigt
wurde. Sobald der Tote eingesargt war, las ich die Gebete und spürte, daß es
schon besser ging. Bis zum späten Nachmittag waren noch vier gestorben. Zuerst
hieß es: „Herr Shizuma, ob Sie wohl so freundlich sein würden, die Gebete zu
sprechen?“ Doch daraus wurde allmählich: „Noch eine Bestattung, Herr Shizuma,
kommen Sie doch bitte!“ Ich gewöhnte mich daran und fand diese Wendung dann
selbst besser.
Als uns die Bretter für Särge ausgingen, mußte
ich die Texte unmittelbar vor dem Toten hersagen. Das Gesicht wurde mit einem
weißen Tuch bedeckt, doch die Gliedmaßen mit der bezeichnenden Leichenblässe
waren sichtbar, sofern sie nicht von mit dunkelrotem Blut getränkten Verbänden
umhüllt waren. Eigentlich sollten die Gebete immer erst verrichtet werden, wenn
der Verstorbene im Sarg lag. Solange ich noch diese Vorstellung hatte, geriet
ich bei der Lesung vor einem uneingesargten Toten oft in Schwierigkeiten. Zum
Glück konnte ich mich aber auf meine Notizen verlassen.
Der Geschäftsführer meinte im Spaß, daß er mir
die „Opfergabe“ überreichen müßte, die ein Priester als übliches Entgelt für
eine Trauerfeier erhält. Unangenehm wurde es erst, als mir Verwandte der
Verstorbenen oder Leute, die sie bis zuletzt gepflegt hatten, tatsächlich Geld
brachten, diskret in weißes Papier gefaltet, wie es die Sitte verlangte. „Aber
ich bitte Sie“, sagte ich dann und schob es zurück. Doch manche entgegneten:
„Nein, bitte“, und sahen mich in vollem Ernst an, „wenn Sie es nicht annehmen,
wird die Seele niemals Ruhe finden.“
Die Büromädchen wechselten sich offenbar ab, um
mich lesen zu hören. Drei von ihnen baten mich doch wirklich darum, die
„Predigt über die Vergänglichkeit“ abschreiben zu dürfen. Ich fragte sie,
warum, und eine sagte, ihr gefiele die Sprache so. „Ich möchte es auswendig
lernen“, meinte die andere. „Ich möchte lernen, was nach den Anfangsworten kommt.’ , Früher oder später stößt es mir zu oder meinem
Nachbarn, heute noch oder morgen...’.“
Das waren noch die angenehmeren Besuche, die ich
zwischen den Bestattungsfeiern erhielt. Allerdings war ich kein
Gesprächspartner für diejenigen, die kamen, um über die Bombardierung zu
diskutieren. Schritt für Schritt zog mich ihr Gerede wider meinen Willen in die
Wirklichkeit zurück, mir standen die Haare zu Berge, die Kopfhaut prickelte,
und der Drang zu fliehen wurde fast unwiderstehlich. Ich kann gar nicht richtig
beschreiben, welche Gefühle in mir aufstiegen — ob Ekel oder Furcht — , aber es packte mich jedesmal das überwältigende
Verlangen davonzurennen.
In der Abenddämmerung ging ich in einen Raum ins
Obergeschoß und blickte zur Stadt hinüber. Nirgends waren Lichter zu sehen wie
sonst. Nur aus einem einzigen Haus im Osten drang ein unbestimmter Schimmer,
doch das empfand ich als störend, weil es so niederdrückend wirkte. Völlige
Dunkelheit hätte mich weit weniger beunruhigt.
Vom Morgengrauen bis zur Abenddämmerung hatte es
den Tag über nur Begräbnisse gegeben.
8. August. Sonnig und schwül.
Gestern abend waren wir
in ein kleines Haus auf dem Grundstück anderer Leute gezogen, das diese
ursprünglich für ihre betagten Eltern gebaut hatten. Es stand etwa zweihundert
Meter von dem Haus entfernt, in dem Herr Fujita Zimmer gemietet hatte. Am
Morgen wurde ich wach, als jemand im Garten nach mir rief. Draußen stand
Utagawa, einer unserer Arbeiter.
„In der Nacht sind wieder zwei gestorben“, sagte
er. „Kommen Sie so schnell wie möglich.“ Ehe ich etwas erwidern konnte, eilte
er schon zur Fabrik zurück. Ich
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