Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarzer Regen

Schwarzer Regen

Titel: Schwarzer Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Masuji Ibuse
Vom Netzwerk:
wurde wie ein Priester behandelt, nur daß man
einen Priester weniger gebieterisch holte.
    Eigentlich mußte ich mich nicht weiter
vorbereiten. Ich brauchte mich bloß zu waschen, zu frühstücken, in die Fabrik
zu gehen und mir ein Jackett von einem der Angestellten zu borgen. Auch das
Begräbnis bedurfte keiner Vorbereitungen. Sowie die Andacht vorüber war, wurde
der Leichnam sofort zum Fluß gebracht und verbrannt. Ich hatte mir geschworen,
die Sutras aus tiefster Seele vorzutragen, doch ich war gar nicht richtig bei
der Sache, als ich mich auf den Weg machte.
    Vor dem Schlafsaal erfuhr ich, daß die Tochter
des Arbeiters, für den ich gestern die Gebete gesprochen hatte, verstorben war.
Sie hatte sich zu .Hause in Temma-cho aufgehalten, als die Bombe fiel, erzählte
man mir. Die Mutter des toten Mädchens litt unter schrecklichen Brandwunden am
ganzen Körper und schien nicht mehr wahrzunehmen, was um sie herum vorging. Die
Schwester der Toten, die anscheinend völlig unverletzt war, saß allein und
starrte mit offenem Mund verloren vor sich hin. Als ich „Mein herzliches
Beileid“ murmelte, erwiderte sie mechanisch: „Ich danke Ihnen“, ohne ihren
Gesichtsausdruck zu ändern. Keine Tränen, keine Auflehnung.
    Das tote Mädchen lag da mit dem Gesicht nach
oben, in einem zerschlissenen weißen Hemd. Auf ihre Brust hatte jemand ein paar
Feldblumen gelegt. Die kleinen gelben Blüten welkten und sanken wie gramgebeugt
gegen eine Brust. Sie fügten sich ein in das Bild des Leids. Ich las die
„Dreifache Zuflucht“ und kam bis zur „Predigt über die Vergänglichkeit“, doch
dann versagte mir die Stimme. Nach der Andacht sagte einer der Arbeiter zu dem
jüngeren Mädchen: „Deine Schwester wird jetzt zur Einäscherung gebracht.“ — „Ja“,
hauchte sie nur und nickte unmerklich. Die Mutter verharrte reglos. Es war ein
trostloser letzter Gang, ohne Verwandte und Bekannte. Die Träger legten den
Leichnam auf eine Strohmatte, hoben ihn auf einen Handwagen und zogen los. Ich
folgte ihnen.
    Die beiden ausgetrockneten Uferstreifen am Fluß
wirkten wie ein Krematorium. Wohin man schaute, stromauf und stromab standen
Rauchsäulen. Hier loderten die Flammen wild auf, und dichter Qualm erhob sich,
dort kräuselte sich der Rauch nur noch schwach über der schwelenden Asche.
Unser Handwagen hielt oben am Ufer, und die Männer blickten sich nach einer
geeigneten Stelle um.
    „Hier“, rief einer. „In dem Loch hier ist das
Feuer aus. Die Asche haben sie wohl auch schon rausgenommen.“
    „Na, dann können wir es doch gleich hier machen,
was?“ meinte ein anderer.
    Sie nahmen die Leiche vom Wagen und trugen sie
dorthin. In der Grube waren zwei große Steine, jeder mindestens einen halben
Meter breit. Sie legten den Leichnam darauf und schichteten zwei Eimer Kohle,
die sie mitgebracht hatten, darunter und daneben. Dann stellten sie
Balkenstücke und Kistenbretter schräg dagegen und lebten noch einige oben
drauf. Kopf und Gesicht bestreuten sie mit Sägespänen und bauten Brettstücke
wie ein Zelt darüber. Schließlich deckten sie alles mit feuchtem Stroh und
nassen Matten ab, und damit waren die Vorbereitungen getroffen. Durch eine
Lücke, wo sich eine Matte aufrollte, konnte ich noch das Haar des Mädchens
sehen, seine Stirn und das marmorbleiche Gesicht. Die Träger hockten im Sand um
sie herum. „Dann müssen wir es wohl anzünden“, sagte einer von ihnen und stand
auf. Ich las die „Dreifache Zuflucht“ und ging fort, ehe noch die Flammen
hochschlugen.
    Oben vom Ufer aus sah ich zahllose Gruben, die
man in den Sand gegraben hatte. In den meisten lagen Knochen, besonders die
Schädel hoben sich merkwürdig scharf ab. Die Brise, die über den Fluß wehte,
mußte die Asche von den Knochen fortgeblasen haben, nachdem das Feuer
niedergebrannt war. Einige Schädel starrten unverwandt mit leeren Augenhöhlen
in den Himmel, andere bissen in zorniger Bitterkeit die Zähne zusammen. Früher,
kam mir plötzlich in den Sinn, redeten die Leute von Schädeln als den
„Unbehausten“.
    In mancher Grube waren nur Kopf und Beine
wirklich verbrannt, aus anderen schossen noch immer glutrote Feuerzungen empor.
Mir fiel ein, daß mich ja noch ein Toter erwartete, und so wanderte ich auf der
Uferstraße zurück und murmelte die „Predigt über die Vergänglichkeit“ vor mich
hin. Diesmal mußte ich überhaupt nicht mehr auf meine Notizen sehen.

Zehntes Kapitel
     
     
    Am nächsten Tag setzte Shigematsu das
Abschreiben

Weitere Kostenlose Bücher