Schwarzer Regen
seines „Tagebuchs von der Bombe“ fort. Er hatte etwa die Hälfte der
Eintragungen für den 8. August geschafft.
Auf dem Rückweg in die Fabrik rezitierte ich
unablässig die „Predigt über die Vergänglichkeit“, aber die darin enthaltenen
Lehren blieben ohne rechte Bedeutung für mich. Vor meinem inneren Auge sah ich
wie in einem Wachtraum Feuerzungen, die menschliche Leiber verzehrten. Erst als
ich den Eingang zum Büro erreichte, merkte ich, daß ich schweißgebadet war.
Im Büro unten traf ich niemanden an. Im Zimmer
des Geschäftsführers fand ich den Küchenleiter und Frau Ariki, eine
Küchenhilfe, die Herrn Fujita gegenübersaßen. „Ach, da sind Sie ja, Shizuma!“
sagte der Geschäftsführer, sowie er mich erblickte. „Sie hatten ja schon
tüchtig zu tun!“ Er hörte sich an, was ich von der Bestattung erzählte, und
forderte mich auf, die Andacht für ein weiteres Opfer abzuhalten, das eben
verstorben war. Die Tote hieß Taka Mitsuda, und Frau Ariki, die Küchenhilfe,
hatte sich ihrer angenommen. Sie machte kleine Schwarzmarktgeschäfte, kam von
irgendwo aus der Stadt in die Werkküche, um Muscheln und minderwertige kleine
Fische zu verkaufen. Sie war vor zwei Tagen in den Angriff geraten und mit
Verletzungen im Gesicht und an beiden Händen frühmorgens in die Werkküche
gekommen, um bei Frau Ariki Hilfe zu suchen. Frau Mitsuda gehörte nicht zu Frau
Arikis Verwandtschaft, aber sie hatte ihre Ware an Frau Ariki immer viel
billiger verkauft als auf dem schwarzen Markt üblich.
Ich machte mir ein paar Notizen über Frau
Mitsudas Herkunft, während Frau Ariki darüber sprach. Wenn wir einen
Betriebsfremden zu bestatten hatten, mußte man schon Namen, Adresse, Stand und
Angehörige aufschreiben, um spätere Komplikationen zu vermeiden. Leider wußte
keiner viel über ihre Herkunft, und so mußte ich mich mit den folgenden
dürftigen Angaben zufriedengeben :
Betrifft die Verstorbene, Frau Taka Mitsuda.
Anschrift: Seitenstraße beim Sumiyoshi-Schrein
in Hiroshima, Kako-cho.
Alter: 48 oder 49.
Größe usw.: etwa 1,55 m, untersetzt, normaler
Gesundheitszustand, mehrere falsche, verchromte Zähne vorn in Ober- und
Unterkiefer.
Todesursache: Verbrennungen, erlitten beim
Angriff auf Hiroshima. Gesicht und Hände hatten schwere Brandwunden, die Haut
der rechten Hand schälte sich ab. Sie war zum Zeitpunkt der Explosion gerade
dabei, den Luftschutzumhang abzunehmen, daher blieben die Haare unversehrt.
Ankunft im Betrieb: etwa acht Uhr früh, am 8.
August 1945. Sie kam in die Küche gewankt und bat Frau Ariki, ihr Wasser zu
geben. Frau Ariki erkannte sie an der Stimme und gab ihr Wasser in einem
Aluminiumbecher. Ihr Gesicht war unkenntlich. Sie trank das Wasser und brach
zusammen. Sie reagierte nicht mehr, wenn man sie beim Namen rief. Frau Ariki
tastete ihr die Brust ab, das Herz schlug noch schwach. Sie muß etwa gegen zehn
Uhr morgens verschieden sein.
Familie: Aus verschiedenen Bemerkungen, die sie
machte, wenn sie mit ihren Schwarzmarktwaren kam, konnte man entnehmen, daß ihr
Mann an einer Krankheit gestorben war, während er in China am mandschurischen
Feldzug teilnahm. Ihr einziger Sohn besucht „irgendeine Schule“, die zur Armee
gehört, in der Nähe von Yanai in der Präfektur Yamaguchi. Sie hat nie etwas
Genaueres über diese Einrichtung gesagt, aber die Tatsache, daß ihr Sohn dort
war, schien sie mit Stolz zu erfüllen.
Persönliches Eigentum, das von der Pflegerin bei
der Verstorbenen gefunden wurde: eine große Lederbörse mit neun 10-Yen-Scheinen,
zwölf 5-Yen-Scheinen, zweiundzwanzig 1-Yen-Scheinen und 3,49 Yen in Münzen; ein
altes Handtuch und eine Ausweishülle aus Kunstleder mit Kennkarte und
Photographien von ihrem Mann in Feldwebeluniform und ihrem Sohn in einem
kurzärmligen Hemd.
Die hier aufgeführten Angaben erhielt ich von
Frau Ariki und dem Oberkoch. Das Geld, das die Verstorbene bei sich hatte, und
die Ausweishülle mit der Kennkarte und den beiden Photographien wurden im Safe
der Direktion hinterlegt, wobei zugegen waren: Herr Fujita und der Küchenleiter
sowie Frau Ariki und Shigematsu Shizuma. Der Geschäftsführer trug im Hauptbuch
ein: „Hundertfünfundsiebzig Yen, neunundvierzig Sen in Verwahrung, von Taka
Mitsuda aus Hiroshima, Kako-cho.“ Mit diesem Betrag von etwas über
hundertsiebzig Yen wollte sie wahrscheinlich Muscheln und Fisch kaufen, um sie
später auf dem schwarzen Markt abzusetzen. Es kann natürlich auch ihr gesamter
weltlicher
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