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Schwarzer Regen

Schwarzer Regen

Titel: Schwarzer Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Masuji Ibuse
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steckte ihn in ihren Rucksack, warf einige Dinge, die sie
hergebracht hatte, in den Teich, einfach so, wie sie ihr in die Hand kamen.
Andere Sachen legte sie in den Luftschutzbunker und stapelte Ziegelbrocken von
der eingestürzten Mauer vor den Eingang. Da hörte sie Hilferufe aus dem
Nachbarhaus. Sie stürzte dorthin und sah zu ihrem Entsetzen, daß Herr und Frau
Nitta schwer verletzt waren, er an der Seite, sie im Gesicht. Shigeko riß einen
der „Tausend-Stiche-Gürtel“ auseinander und verband sie damit notdürftig, dann
wollte sie die Trage holen. Auf dem Rückweg bemerkte sie, daß Frau Nomura von
der Ecke gegenüber auch verwundet war und Hilfe brauchte. Sie ließ die Trage
stehen und verband die Nachbarin mit einem Baumwolltuch. Die Zahl der
Verletzten war sehr viel größer, als sie gedacht hatte. Bei allen Familien, die
zur Nachbarschaftsvereinigung gehörten, den Nakanishis, den Hayamis, den
Sugais, den Nakamuras, gab es mehr oder weniger schwer Verletzte. Sie war die
einzige, die gesund umhergehen konnte. Es gab keine Möglichkeit, jemanden mit
der Trage zu transportieren.
    Nach einiger Zeit wurde Frau Nozu von ihrem Mann
geholt. Er war Hauptmann in der Armee und kam mit ein paar Soldaten. Herr und
Frau Nitta wollten zum Hospital der Gegenseitigen Hilfe gehen, es sah
jammervoll aus, wie sie einander stützten, beide voller Blut. Shigeko ging ins
Haus zurück, um noch ein paar Möbelstücke und anderen Hausrat in den Unterstand
zu schaffen, und eilte dann zum Universitäts-Sportplatz.
    Manchem an ihrer Geschichte war nicht
beizukommen — weder mit den Gesetzen der Wissenschaft noch der formalen Logik.
Durch unseren Wohnbezirk lief die Druckwelle von Nord nach Süd. Obwohl die
Bäume im Garten, das Haus und die Türen im Haus sich alle nach Süden oder
Südwesten neigten, mußte der Beutel mit den Ahnentafeln von Süden nach
Nordwesten geflogen sein, wobei er an die acht Meter im Haus und fünf Meter
draußen zurücklegte, um dann im Teich zu landen. Das war einfach unverständlich.
Möglicherweise wurde er aber aus dem Haus in südlicher oder südwestlicher
Richtung geblasen und dann vom rücklaufenden Sog, der auf die Druckwelle
folgte, nach Nordwesten zurückgerissen.
     
    9. August.
    Gestern abend hatten
wir den Rest von unseren eisernen Rationen verzehrt. Das hieß, ab heute mußten
wir die Mahlzeiten aus der Werkskantine beziehen. Shigeko ging unser Frühstück
holen und Yasuko das Mittagessen, aber mittags fingen beide an zu jammern, ich
vermute, eine steckte die andere an.
    Wenn es sich bei dem Essen bloß um rohes Gemüse
und um Reis handelte, sagten sie, wäre es nicht so schlimm, aber hinzugehen und
fertige Speisen zu holen, die andere gekocht hatten, und sie einfach zu essen,
ohne auch nur einen Finger zu rühren, dabei kamen sie sich wie Schmarotzer vor.
Gestern hatten sie noch viel zu tun, weil sie bei der Versorgung der
Flüchtlinge halfen. Aber von heute an würde ihnen jegliche Beschäftigung
fehlen, deshalb sei es ihnen zu peinlich, die Portionen abzuholen. Der
Geschäftsführer hatte Yasuko gesagt, sie könnte bis auf weiteres Urlaub nehmen.
    Da mich das Gejammere ärgerte, fiel mir sofort
eine Tätigkeit für sie ein. „Morgen könnt ihr die Stelle suchen gehen, wo unser
Haus in Senda-machi stand“, sagte ich. „Und versucht mal herauszubekommen, was
aus allen unsern Nachbarn geworden ist. Und wenn ihr einmal dort seid, bringt
aus dem Luftschutzbunker soviel Kleidung mit, wie wir in der nächsten Zeit zum
Wechseln brauchen, und auch die Flaschen mit dem Reis. Der Reis ist für die
äußerste Not, aber ich meine, wann sollen wir ihn denn essen, wenn nicht
jetzt?“ Das schien sie zu beruhigen, und sie erklärten sich bereit, heute abend aus der Kantine das Abendbrot zu holen.
    Im Luftschutzbunker am Haus in Senda-machi
befanden sich ein Radio, Decken, Schüsseln und Schalen, Küchenutensilien und
verschiedene Lebensmittel. Auf einer freien Stelle im Garten hatten wir vier
Zweiliterflaschen mit Reis vergraben, einen Zwanzigliterkanister mit Sojabohnen
und einen anderen Kanister mit Unterwäsche und Baumwollkimonos. Als wir aus der
brennenden Stadt aufbrachen, hatte ich mich noch vergewissert, daß diese Sachen
vom Feuer nicht versehrt waren.
    Shigeko und Yasuko, die nur die Kleidungsstücke
besaßen, die sie auf dem Leibe hatten, erörterten etwas im Flüsterton. Sie
wollten wohl ihre Unterwäsche waschen, fragten sich aber, was sie machen
sollten, bis sie trocken war. Ich meinte,

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