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Schwarzer Regen

Schwarzer Regen

Titel: Schwarzer Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Masuji Ibuse
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daß
genau so viele Säcke fehlten, wie Tanaka angegeben hatte. Ich fühlte, wie die
vertraute Welt überall an den Nähten aufriß, seit die Bombe auf Hiroshima
gefallen war. In früheren Zeiten hieß es im Volksmund: In einem vom Krieg
verwüsteten Landstrich dauert es hundert Jahre, bis die Verrohung der Sitten
überwunden ist. Es zeigte sich nun, daß das immer noch stimmte.

Elftes Kapitel
     
     
    Ich ging zur Geschäftsleitung, um über den
Proviantdiebstahl Meldung zu erstatten. Tanaka nahm ich mit, da er an dem
betreffenden Tag Dienst tat. Wir mußten uns hier mit der Armee
auseinandersetzen, deswegen konnte man die Sache nicht auf die leichte Schulter
nehmen. Tanaka hatte zweifellos falsch gehandelt, aber die eigentliche
Verantwortung lag bei mir, und die Geschichte würde Wellen schlagen, die
bestimmt auch Hauptmann Nozu erreichten.
    Es fehlten sieben Säcke polierter Reis, zehn
Kisten mit Rindfleischbüchsen und fünf Kisten Weißwein, Sorte „Sadoya’s
Special“. Unerhört, daß Soldaten im aktiven Dienst in solch einer Notzeit, als
die Lebensmittelknappheit den Höhepunkt erreicht hatte, einfach mit einem
Armeelastwagen ankamen und Zivilisten um Armeebestände, die sie zeitweilig in
Verwahrung hatten, betrogen. Die Soldaten waren mit zwei LKWs gekommen, und auf
dem ersten Fahrzeug soll ein hellblaues Fähnchen gesteckt haben.
    „Dieses Rindfleisch aus den Büchsen muß man mit
Auberginen kochen“, hatte leutselig ein Gefreiter, der älter aussah als die
anderen, beim Aufladen der Rindfleischkisten bemerkt. „Manche bekommen davon
Ausschlag, wenn sie es unvermischt essen.“ Die Rindfleischvorräte waren für den
Fall einer Kriegsführung der verbrannten Erde angelegt worden, die einer
Invasion des Feindes wahrscheinlich folgen würde. Aber ein Soldat wußte
offenbar bereits, wie es schmeckt.
    „Sie meinen also, daß ein Kompanieoffizier dabei
war!“ sagte der Geschäftsführer empört, als Tanaka den Vorfall berichtet hatte.
„Ich hätte nicht gedacht, daß die Armee derart gesunken ist.“ Seine Lippen
zuckten vor unterdrückter Erregung. Tanaka stand kerzengerade, mit
kreidebleichem Gesicht und so gut wie reglos vor dem Geschäftsführer. Er war
achtundvierzig Jahre alt. Er wohnte in Kabe, übernachtete aber im Betrieb, und
seine Frau arbeitete in ihrem Heimatort in einer Gießerei. Ihre beiden Söhne
waren im Kriege gefallen, sie hatten ihnen einen großen Gedenkstein errichten
lassen, hieß es, und die beiden Namen seien nebeneinander eingemeißelt.
    Obwohl Tanaka strammstand, brachte er nur
schwache, weinerliche Laute heraus. „Wirklich, Herr“, stammelte er. „Ein
älterer Mann war dabei, ein Gefreiter, und die anderen hatten keine
Uniformjacken. Sie trugen alle Wickelgamaschen und Arbeitsschuhe.“
    „Aber haben Sie nicht gesagt, daß auf dem
Lastwagen ein hellblaues Fähnchen steckte? Eine hellblaue Flagge bedeutet doch,
daß ein Kompanieoffizier drin sitzt. Eine rote Flagge hätte bedeutet ein
Stabsoffizier, eine gelbe ein General. Sie haben doch selber zwei Söhne im
Krieg verloren. Da können Sie mir doch nicht erzählen, nicht wenigstens so viel
über die Armee zu wissen.“
    „Ja, aber der ältere Gefreite war doch von der
Infanterie, und da hab ich gedacht, die Soldaten sind vom Zweiten
Westjapan-Korps, und geglaubt, die blaue Flagge heißt, sie kämen auf Befehl
eines Kompanieoffiziers. Das war einfach dumm von mir... Ich weiß, Sie müssen
mich rügen, Herr Fujita, ich bin an allem schuld…“ Er ließ den Kopf sinken und
fing an zu schluchzen, daß die Schultern bebten.
    „Na, auf jeden Fall müssen wir es dem Zweiten
Westjapan-Korps melden“, sagte der Geschäftsführer und wandte sich an mich. „So
schnell wie möglich! Und wir drei — Tanaka, Sie, Shizuma, und ich — müssen
unterschreiben.“
    „Sehr gut“, sagte ich. „In der üblichen Form für
schriftliche Erklärungen, denke ich.“
    Er war einverstanden. Unglücklicherweise gab es
aber das Korps seit dem Angriff nicht mehr, keine Kaserne, nichts mehr, wohin
man die Erklärung hätte bringen können. Die Schreibstube des Zahlmeisters vom
Nachrichtenkorps befand sich ja jetzt bei uns im zweiten Stock, aber ich hatte
meine Zweifel, ob es sinnvoll war, diesem Zahlmeister Dokumente auszuhändigen,
die an den Zahlmeister des Zweiten Westjapan-Korps gerichtet waren. Wir
Zivilisten hatten wenig Ahnung von der Organisation innerhalb der Armee.
    Jedenfalls faßte ich das Dokument in Form einer
schriftlichen

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