Schwarzer Regen
Erklärung ab. Der Geschäftsführer und ich setzten unser eigenes
Siegel darunter und ließen Tanaka seinen Daumenabdruck machen. Dann ging ich
damit nach oben zur Schreibstube. Ein Stuhl und ein Tisch standen auf dem
Tatami in dem kleinen, japanisch eingerichteten Raum. Ein Paar Schuhe, die
jemand ausgezogen hatte, lagen auf einer Zeitung innen neben der Schiebetür. Natürlich
zog auch ich die Schuhe aus, ehe ich hineinging. Hauptmann Nozu sei dienstlich
unterwegs, sagte man mir; es waren zwei Armeeleute da, die wie Unteroffiziere
aussahen, ihren Rang konnte ich nicht feststellen, weil sie die Jacken
ausgezogen hatten; der mit dem kleinen Schnurrbart hatte offensichtlich den
höheren Rang; er nahm den Umschlag mit dem Schreiben entgegen.
Ich sagte ihm, ich sei ein Bekannter von
Hauptmann Nozu. „Er würde sich bestimmt über Ihren Besuch freuen“, meinte er.
Dann nahm er das Schriftstück aus dem Umschlag und fing an zu lesen. Sein
Gesichtsausdruck veränderte sich.
„Ach, du meine Güte“, sagte er. „Das geht
überhaupt nicht.“ Er reichte mir das Dokument sofort zurück. „Das muß doch
Leutnant Kobuku von der Zahlmeisterei des Zweiten Westjapan-Korps vorgelegt
werden, nicht wahr? Wir sind aber doch vom Nachrichtenkorps.“
„Das schon, aber wir möchten Sie bitten, es an
Leutnant Kokubu weiterzuleiten. Wir wissen nämlich nicht, wo sich das Zweite
Westjapan-Korps jetzt aufhält...“ Diese Bemerkung mißfiel ihm nun vollends.
„Das ist doch wohl ein Witz!“ entgegnete er.
„Wenn unsere Einheit ein solches Schriftstück an Leutnant Kokubu leitet, dann
wäre das genauso, als erhielte er vor dem ganzen Korps eine Rüge. Und das würde
dem Ansehen der Zahlmeisterei vom Zweiten Westjapan-Korps schaden. Also, wir
können es auf keinen Fall annehmen.“ Da ich nichts weiter ausrichten konnte,
ging ich wieder nach unten und berichtete dem Geschäftsführer. Tanaka war
verschwunden, aber der Geschäftsführer erzählte mir, er habe geschworen, der
Armee die gestohlenen Sachen zu ersetzen, und wenn er sein ganzes Leben dafür
arbeiten müßte.
Ich kehrte zu dem kleinen Haus zurück, in dem
wir wohnten, und fühlte mich schrecklich müde. Shigeko und Yasuko waren noch
nicht zurück vom Fluß. Deshalb wollte ich bis zum Abend ruhen. Ich spannte das
Moskitonetz auf, um die Fliegen abzuhalten, und legte mich hin.
Nach einem kurzen Schlaf wachte ich auf und
glaubte, ich hätte den Schrei einer Eule gehört. Als ich die Augen öffnete,
schien noch die Nachmittagssonne auf die weiße Lehmwand des Vorratshauses
hinter den Büschen im Garten, und die junge Frau des Hauswirts ging zwischen
den Büschen umher. Eulenschreie waren also Unsinn. Dann wurde mir klar, warum
ich aufgewacht war, ich hatte kalte Füße. Es beunruhigte mich, daß ich im
August, mitten im Hochsommer, während die Sonne noch schien, kalte Füße bekam.
Ich tastete meine Zehen ab und spürte in beiden großen Zehen ziemliche
Schmerzen. Etwas bestürzt stand ich auf, hob das Moskitonetz hoch und ging auf
die Veranda. Dabei fühlte ich etwas Kaltes an der linken Wange. Ich griff
danach — der Verband fehlte. Er war am Moskitonetz hängengeblieben. Im Spiegel
sah ich, daß die entzündete Stelle an der Nase sich geöffnet hatte und nun hart
und trocken zu sein schien. Das Leben brachte einem immer
neue Scherereien. Ich machte ein kleines Tuch naß, wischte die
entzündete Stelle vorsichtig aus und legte mir einen neuen Verband an, den ich
mit Leukoplast anklebte.
Ich faltete gerade das Moskitonetz zusammen, als
Shi-geko und Yasuko nach Hause kamen. Dann holten sie ein Abendbrot für drei
Personen aus der Werkküche. Das Mahl, das sie auf den geliehenen Tisch
stellten, bestand aus den Blättern von Süßkartoffeln, in Sojasoße geschmort,
Essiggemüse und gekochter Gerste mit Kleie. Beim Essen erzählten Shigeko und
Yasuko von den Zuständen in der Stadt, was sie von anderen Leuten am Fluß
erfahren hatten. Sie hatten ihre langen Baumwollhosen, die Hemden und die
Unterwäsche gewaschen und sich dann ins Wasser gehockt, während ihre Sachen auf
den Kieselsteinen am Uferrand trockneten. Drei andere Frauen machten es
genauso, und beim Warten sprachen sie von Hiroshima.
Rund um einen Löschteich auf dem Spielplatz der
Ersten Mittelschule, erzählte eine von ihnen, lagen Hunderte von toten
Mittelschülern und freiwilligen Kriegshelfern. Sie waren alle am Rand des
Beckens aufgehäuft, halb nackt, mit völlig verbrannten Hemden. Von weitem sah
es aus
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