Schwarzer Regen
wie ein Tulpenbeet. Kam man aber näher heran, wirkte es wie hingestreute
Blütenblätter von Chrysanthemen.
Auf der Straße vor dem Shiratori-Schrein hatte
eine Frau eine Straßenbahn gesehen, von der nur noch das Eisenskelett
übriggeblieben war, und doch stand der halbverkohlte Leichnam des Fahrers noch
immer aufrecht und hielt die Kurbel fest. Vier oder fünf Fahrgäste lagen halb
verbrannt auf der Plattform.
Am Morgen des Sechsten, erzählte eine andere,
exerzierte ein Trupp Kadetten aus der Offiziersschule auf dem
West-Exerzierplatz. Sie waren gerade weggetreten und zogen zur Sportstunde ihre
Jacken aus, als der gewaltige Blitz aufzuckte. Einer von ihnen, der ganz
hinten, mit dem Rücken gegen einen Laubbaum, stand, schwor, er hätte gesehen,
wie der Turm des Schlosses von Hiroshima im selben Augenblick fortgeschleudert
wurde — der Turm, so wie er war, schoß nach Südwesten durch die Luft. Im
nächsten Moment hätte er nichts mehr sehen können. Und doch war er sicher, den
fünfgeschossigen Turm des Schlosses in seiner ganzen Größe in der Luft gesehen
zu haben, fünfzig Meter von der Stelle entfernt, auf der er gestanden hatte.
Selbst wenn die Geschichte stimmte, konnte er sie kaum mit Bewußtsein
wahrgenommen haben. Vielleicht hatte sich der Anblick auf seiner Netzhaut im
Moment der Explosion eingeprägt. Später wurde berichtet, der Turm liege völlig zertrümmert
auf der Uferstraße, nur noch ein Haufen Lehm und Ziegelbrocken. Anscheinend war
bei der Explosion der Bombe eine Kraft frei geworden, die sowohl zu schieben
als auch zu heben vermochte. Der Burgturm muß einige tausend Tonnen gewogen
haben, und doch überwand die Kraft, die ihn packte, die Schwerkraft und hob ihn
hoch, ohne ihn sofort zu zerstören.
Nach dem Angriff hatten die umliegenden Städte
und Dörfer bald ihre eigenen Rettungstrupps in die Ruinen geschickt. Solch ein
Trupp aus der Stadt Miyoshi war aufgebrochen, um nach den Mädchen aus dem
Lyzeum und anderen Einwohnern des Ortes zu suchen, die in der Stadt
Kriegsdienste leisteten. Mädchen aus den oberen Klassen hatten als
Hilfsschwestern im Garnisonslazarett gearbeitet, andere beim Flugzeugbau im
Luflwaffenrüstungsbetrieb bei Kure. Zu dem Bergungstrupp aus Miyoshi gehörten
an die hundert Mann. Sie waren früh am Morgen des Siebenten in die Stadt
eingedrungen, dann aber von den Flammen eingeschlossen worden und fast alle
umgekommen. Jitsuo Tabuchi, Dozent im Universitätskurs des Lyzeums, hatte den
ersten Trupp angeführt. Ihm war es gelungen, sich bis Gion durchzuschlagen, ehe
er zusammenbrach. Die Mädchen, die sich in der Stadt aufhielten, als die Bombe
fiel, wurden natürlich auf der Stelle getötet.
(Ich möchte hier einfügen, daß ich nach dem
Kriege die Bekanntschaft von Herrn Tabuchi machte. Er erzählte mir, er habe am
Morgen des Sechsten noch die Zeitung gelesen, ehe er zum Unterricht ging, als
ein blaßblauer Funke über den Himmel zu streichen schien. Er hatte es als eine
Sinnestäuschung abgetan, bis gegen Mittag die Armee über den Rundfunk die
Bombardierung bekanntgab. Gegen drei Uhr nachmittags kamen die ersten
Verwundeten, die aus der Stadt entflohen waren, mit dem Zug in Miyoshi an. Auf
der Strecke nach Geibi ging der Zugverkehr aber nur bis Shimo-Fukagawa, das
heißt, sie hatten den Weg bis dahin zu Fuß zurückgelegt und dort erst den Zug
erreicht.
Das Rote Kreuz und die Feuerwehr von Miyoshi
stellten vor dem Bahnhof Zelte auf, wo sie den Verletzten Erste Hilfe
leisteten. Gegen fünf Uhr nachmittags kamen das Rote Kreuz, der Lehrkörper der
Mittelschule und des Lyzeums, die Feuerwehr und andere Bürger der Stadt und der
benachbarten Dörfer zusammen und einigten sich, ein Bergungskommando zusammenzustellen.
Tabuchi wurde zum Leiter des ersten Trupps gewählt. Gegen fünf Uhr früh am
Siebenten bestieg er mit achtzig Leuten, Lehrern des Lyzeums und Freiwilligen
aus der Stadt und den umliegenden Dörfern, die ihm unterstanden, den Zug. Sie
fuhren bis Shimo-Fukagawa und gingen von dort zu Fuß nach Hiroshima, wo sic
gegen halb elf eintrafen. Was sie dort vorfanden, erfüllte sie mit Schrecken,
aber sie wußten natürlich nicht, was für eine Bombe explodiert war. Vor Grauen
konnten sie nur hilflos um sich blicken.
Sie zogen vom Hauptbahnhof durch Inari-cho,
Kamiya-cho, Ote-machi und Senda-machi; überall umgab sie die Hitze der
glosenden Brände, der Gestank der Leichen, das Stöhnen der Sterbenden. Das
Wasser in ihren Feldflaschen war bald verbraucht, und
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