Schwarzer Regen
anstatt andere zu retten,
liefen sie nun selbst zwischen den ausgebrannten Ruinen hin und her und suchten
einen Ausweg. Nachdem sie zwei Stunden umhergeirrt waren, merkte Tabuchi, daß
sich sein ganzer Trupp bis auf zwei Begleiter aufgelöst hatte. Und dabei hatten
sie auch nicht ein Mädchen vom Lyzeum aus Miyoshi gefunden. Einer seiner
Begleiter war schon halb ohnmächtig. Deshalb beeilten sie sich, aus der Stadt
heraus bis nach Gion zu einem Bekannten zu kommen, wo sie etwa um halb fünf
eintrafen. Sie ruhten sich dort ein paar Stunden aus, und erst gegen halb neun
machten sich die drei, so erschöpft sie auch waren, auf den Heimweg. Noch nie
im Leben hatten sie sich so überanstrengt. Für den Weg von Gion nach
Shimo-Fukagawa brauchten sie drei Stunden, dort brachten sie die Nacht im
Wartesaal zu. Am nächsten Morgen gegen sechs konnten sie sich dann in einen Zug
voller Flüchtlinge zwängen und nach Hause fahren.
Es stellte sich später heraus, daß alle Mädchen
vom Lyzeum aus Miyoshi, die in Hiroshima als Kriegshelfer gearbeitet hatten,
umgekommen waren; neunzig Prozent aller anderen Leute aus Miyoshi und Umgebung,
die unterwegs waren, wurden entweder sofort getötet oder starben noch im
gleichen Jahr. Tabuchi selbst hatte sich etwa zwei Stunden in den Ruinen
aufgehalten und leidet jetzt an einer leichteren Form der Strahlenkrankheit.
In Miyoshi konnte man den Atompilz über
Hiroshima wegen der Berge nicht sehen. In Mihara, einer Stadt, die über siebzig
Kilometer von Hiroshima entfernt ist, im Westen aber nur von niedrigen Hügeln
begrenzt wird, war er sichtbar.)
Die drei Frauen hatten meiner Frau und meiner
Nichte auch noch andere sonderbare Dinge aus der Stadt erzählt. Die Holzbrücken
in der bombardierten Zone waren fast alle völlig verbrannt, aber es sah höchst
merkwürdig aus, wie sie brannten. Zuerst fingen die Holzplanken an zu schwelen
und wurden vom Feuer verzehrt, dann griff es auf die Stützpfeiler über. Als die
Ebbe einsetzte und der Wasserstand zurückging, brannten die Pfeiler von oben
nach unten allmählich immer weiter ab. Seltsam war nur, daß trotz der nächsten
Flut, die theoretisch das Feuer löschen mußte, die Glut am nächsten Morgen
wieder schwelte und nach und nach das gesamte Holzwerk
verschwand.
Auf dem Friedhof beim Kukutaiji-Tempel hatte
sich an einem Grab ein Stück Ziegel, etwa drei Zoll im Quadrat, zwischen den
Steinsockel und die Säule, die darauf ruhte, geklemmt. Die Säule mit einem
Durchmesser von immerhin einem Meter muß von der Druckwelle angekippt worden
sein, und genau in dem Augenblick kam der Ziegel angeflogen und blieb in der
entstandenen Lücke stecken. Der Grabstein aus poliertem Granit war auf der
Seite, die die Strahlung getroffen hatte, völlig aufgerauht, an der Rückseite
aber glatt wie vorher. Selbst Granit wurde also angegriffen. Gewöhnliche Dachziegel
hatten durch den Blitz ihre Farbe von dunkelgrau in rötlichbraun gewechselt und
zeigten auf der Oberfläche kleine Blasen. So ergab sich eine
Oberflächenstruktur, wie sie beim Brennprozeß von Koimbe-Steingut entsteht.
Eine andere Geschichte stammte offenbar von
einem Obergefreiten der Pioniertruppen. Er erzählte sie in einem Bauernhaus in
Oga, wo er auf seinem Weg ins Hilfslazarett von Hesaka um Wasser bat. Die
Pioniere hatten durch die Bombe so viel Leute
verloren, daß sie die Leichen kreuzweise übereinander auf Sandbänke im Fluß
gestapelt und angezündet hatten. Man ließ das Feuer auch nachtsüber brennen,
und ein Posten mußte dabei Wache halten. „Leichenwache“ hieß das, und alle
fanden es natürlich sehr widerwärtig. Seit dem Bombenabwurf war die Befehlsgewalt
in der Armee ziemlich durcheinandergeraten, die Disziplin hatte sehr gelitten,
und mancher Offizier fing an, sich vor seinen Leuten zu fürchten.
Die Geschichten erzählte mir meist Yasuko.
Shigeko hatte Magenkrämpfe, was wohl von der Unterkühlung im Fluß herrührte,
und sagte wenig. Sie hatten beide nur mit einem Tuch um die Hüften im flachen
Wasser gehockt, während ihre Wäsche trocknete.
Es war schon ganz dunkel, als der alte Vater des
Hauswirts kam und uns berichtete, daß es bald wieder elektrisches Licht geben
würde. An diesem Tag hatte man die Stromversorgung wieder aufgenommen.
10. August. Schönes Wetter.
Yasuko und Shigeko holten unser Frühstück aus
der Küche neben dem Schlafsaal, dann bereiteten sie aus der
Gerste-Kleie-Mischung eine Art Reiskuchen und nahmen sie mit, als Verpflegung
auf ihrem
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