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Schwarzer Regen

Schwarzer Regen

Titel: Schwarzer Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Masuji Ibuse
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nachzulassen. Ich atmete erleichtert auf, legte mein
Gepäck auf die steinerne Brüstung und ruhte mich aus.
    Da die Stadt durch die Feuersbrunst fast völlig
dem Erdboden gleichgemacht war, konnte man weit in die Ferne blicken. Im Süden
sah ich die graugrünen Hügel von Okawa-cho, im Südwesten den unversehrten Wald
von Mukai-Ujina und genau gegenüber den Shumi-Berg bei
Miyajima. Im Westen erstreckte sich die niedrige Erhebung von Eba, und im Osten
erhob sich der heilige Berg mit dem Toshogu-Schrein. Auf der verbrannten Wüste
des Stadtzentrums stand überhaupt nichts, wenn man von den Skeletten einiger
Gebäude absah. Sonst fiel der Blick nur auf ein Wirrwarr
von verkohlten Balken und Ziegelbrocken. Hin und wieder bewegte sich in der
Einöde ein schwarzer oder weißer Punkt, meist ein Mensch, der nach den
sterblichen Überresten von Verwandten oder Freunden suchte. Es war ein Bild
unendlicher Trostlosigkeit.
    An einem Ende der Brücke lag ein Toter auf dem
Rücken mit weit ausgestreckten Armen. Er hatte ein schwarzes, entstelltes
Gesicht, schien jedoch von Zeit zu Zeit die Backen aufzublasen und tief zu
atmen. Auch die Augenlider bewegten sich scheinbar. Ungläubig starrte ich hin.
Sorgsam stellte ich mein Bündel auf der Brüstung ab und ging mit Furcht und
Zagen näher an den Körper heran. Scharen von Maden quollen aus Mund und Nase
und wimmelten in den Augenhöhlen. Nur durch dieses Gewühl entstand der Eindruck
von Leben und Bewegung.
    Mir kam eine Zeile aus einem Gedicht in den
Sinn, das ich einmal als Junge in einer Zeitschrift gelesen hatte. „O Wurm,
Freund Wurm!“ begann es. Und dann folgte noch mehr in der Art: „Zerreiße den
Himmel, verbrenne die Erde und laß Menschen sterben! Was für ein prächtiger und
erhebender Anblick!“ Welch ein Narr! Hielt sich der Dichter selbst für ein
niederes Tier mit seinem Geschwätz vom Freund, dem Wurm? Zu welcher Idiotie
kann man nur fähig sein. Er hätte hier sein sollen um 8.15 Uhr, am sechsten
August, als sich alles erfüllte: als der Himmel zerriß von oben bis unten, die
Erde brannte und Menschen starben. „Abscheulicher!“ hörte ich mich plötzlich
sagen. „Prächtig und erhebend!“ Am liebsten hätte ich mein Bündel in den Fluß
geschleudert. Ich haßte den Krieg. Was machte es letzten Endes aus, welche
Seite siegte. Wichtig war nur, alles so schnell wie möglich zu beenden. Lieber
einen ungerechten Frieden als einen „gerechten“ Krieg!
    Ich ging zur Brüstung zurück, aber anstatt mein
Bündel in den Fluß zu schleudern, nahm ich es wieder auf den Rücken. Es
enthielt lauter Dinge, die für das Überleben inmitten der Ruinen nötig waren:
eine Flasche mit Magenpillen, eine Maurerkelle, alte Zeitungen,
Eukalyptusblätter, Zwieback, einen Papierfächer und dergleichen.
    In der Nähe von Kamiya-cho begegnete ich einigen
Männern, die wie Soldaten aussahen. Sie hatten sich Atemmasken aus Gaze vor
Mund und Nase gebunden und unterhielten mehrere Feuer an verschiedenen Stellen.
Beim Näherkommen sah ich, daß die Feuer in etwa zwei Quadratmeter großen Gruben
brannten. Man trug Leichen zusammen und warf sie in die Flammen. Als
Brennmaterial dienten alte Eisenbahnschwellen. Das Prasseln der brennenden
Schwellen ließ die Scheiterhaufen unter der glühenden Sonne noch gräßlicher
erscheinen. Wie ich genauer hinsah, züngelten aus den Leibern blaßblaue
schlanke Flämmchen hervor und wurden sofort von den wilden roten Flammen
aufgesogen, die um sie herum immer höher schlugen. Die Soldaten brachten
Leichnam um Leichnam auf Türen oder Wellblechstücken und warfen sie ohne jede
Zeremonie, mit dem Gesicht nach oben, ins Feuer. Dann trotteten sie wieder
stumm los, den nächsten zu holen. Die Ecken des Wellblechs hatten sie nach oben
gebogen, damit sie es beim Tragen besser halten konnten. Sie arbeiteten wohl
unter dem Befehl eines höheren Offiziers. Was sie auch empfinden mochten, ihr
Gesichtsausdruck verriet nichts. Das einzige Anzeichen eines Gefühls schien in
ihren Militärstiefeln zu stecken, die sich langsam, mit bleierner Schwere
bewegten. Wenn in der Grube so viele Leichen waren, daß die Flammen
niedersanken, dann warfen sie die Toten, die sie gerade brachten, auf die Erde
an den Grubenrand. Durch den scharfen Stoß kam manchmal ein Knäuel Maden oder
ein Strahl Jauche aus dem Mund. Lag die Leiche zu dicht am Feuer, dann gerieten
die Maden durch die Hitze in Panik und krabbelten überall herum. Die
Erschütterung des Hinwerfens verrenkte

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