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Schwarzer Regen

Schwarzer Regen

Titel: Schwarzer Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Masuji Ibuse
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Weg in die Stadt. Bis zum Bahnhof begleitete ich sie. Dort hielten
sich viele Leute auf, die, soviel ich sehen konnte, weder jemanden erwarteten
noch Fahrkarten kauften. Sie waren einfach in den Wartesaal geraten, weil sie
sonst keine Bleibe hatten. Als der Zug einlief, standen viele herum, ohne sich
überhaupt zu bewegen. Einige Leute erkundigten sich bei den Bahnbeamten, was
sie tun sollten, um verlorengegangene Kinder wiederzufinden.
    Vom Bahnhof ging ich zurück zum Betrieb, wo mich
schon ein dringender Auftrag erwartete. Ich mußte irgendwoher Kohlen besorgen
und aus diesem Grunde nach Hiroshima oder Ujina fahren. Herr Fujita brachte ein
großes Bündel aus dem Nebenraum.
    „Mir ist es ja unangenehm, Sie damit zu
belästigen“, sagte er, „aber ich möchte, daß Sie so schnell wie möglich etwas
unternehmen. Alles, was Sie zwischen den Ruinen brauchen könnten, ist in diesem
Bündel. Seien Sie vorsichtig, es könnte noch einen Angriff geben.“
    Ich ließ eine Nachricht für Shigeko bei ihm
zurück, dann nahm ich meinen Luftschutzumhang und mein Verbandszeug, schulterte
das Bündel und ging los.
    Der Zug fuhr bis Yamamoto. Von da an war der
Verkehr immer noch unterbrochen. Keiner der etwa fünfzig oder sechzig Fahrgäste
verließ den Bahnhof, als wir ausstiegen, statt dessen zogen alle im Gänsemarsch auf den Gleisen nach Hiroshima. Die Leute von
Hiroshima sind bekannt für ihre Geselligkeit. Aber heute trottete jeder für
sich von einer Schwelle zur nächsten, ohne auch nur ein Wort zu sprechen. Die
wenigsten trugen etwas bei sich, was wie Reiseproviant aussah. Nichts hätte die
Lebensmittelknappheit deutlicher zeigen können, von der selbst die Bauerndörfer
in der Umgebung betroffen waren. Wie viele schweigsame Gruppen stiegen wohl täglich
aus dem Zug und zogen in die ausgebrannten Ruinen von Hiroshima?
    Sobald wir in die Ruinenzone kamen, wehte uns
eine modrig übelriechende Brise über die Einöde entgegen. Einer nach dem
anderen trennten sich die Weggefährten von uns, bis schließlich nur noch eine
Handvoll in dieselbe Richtung gingen wie ich. Ringsum
war nichts als dieses Meer zerbrochener Dachziegel, die Straße glich einer
Mondlandschaft.
    Ich hatte eine Brücke überquert und fragte mich,
wo ich eigentlich war. Ich wandte mich um und erkannte die
Stahlbogenkonstruktion, die die Flammen überstanden hatte: die Yokogawa-Brücke.
Als ich am Sechsten auf dieser Straße aus der Stadt floh, hatte ich hier drei
tote Frauen fast nackt in einem Wassertank schwimmen sehen, der dreiviertel
voll Wasser an der Straße stand. Ich nahm mir vor, beim Vorbeigehen nicht
hinzusehen, aber trotz aller Vorsätze konnte ich es nicht vermeiden, daß der
Blick sich hinüber verirrte. Etwa ein Meter Dickdarm war aus dem After der
einen Frau gequollen, die mit dem Kopf nach unten im Tank schwamm. Der Darm war
stark aufgebläht und lag in einem leicht verdrehten Ring auf dem Wasser. Bei
jedem Windstoß schwankte er wie ein Ballon sanft hin und her.
    An einem der niedergebrannten Tempel in
Tera-machi lehnte ein Brett, auf dem mit Holzkohle geschrieben stand:
„Nekoya-cho Leichensammelstelle“. Innerhalb der Lehmmauer lag ein Berg von
Leichen, an die zwei Meter hoch. Manche sahen aus, als wären sie zu Tode
gequetscht worden, andere waren halb verbrannt, und von einigen gab es nur noch
das Skelett. Die Lehmmauer war hier und da eingebrochen, und wenn man nicht die
Augen schloß, mußte man die Leichen anschauen, ob man wollte oder nicht. Der
Leichenhaufen war schwarz vor Fliegen. Manchmal störte sie etwas, ein Windhauch
vielleicht, dann flogen alle mit lautem Gesumm hoch, nur um sich im nächsten
Moment schon wieder auf dem Haufen niederzulassen. Gleichzeitig breitete sich
ein atemberaubender, durchdringender Gestank aus, der einem in Nase und Hals
stach. Ich hielt die Luft an und rannte los. Nach einer Weile verlangsamte ich
den Schritt und ging mit einem Tuch über der Nase weiter, doch der Pesthauch,
der mich verfolgte, reichte, um mich schwindlig zu machen.
    Sobald ich die Ruinen von Tera-machi hinter mir
gelassen hatte, verlor sich der Geruch etwas. Das war aber nur eine zeitweilige
Erleichterung, denn wenn sich am Straßenrand wieder Leichen und Skelette
häuften, wurde ich von neuem in Wolken von Gestank gehüllt. Ich war in einer
Hölle, in der man mit einem allgegenwärtigen Gestank gefoltert wurde, dem man
nicht entrinnen konnte. Einzig auf der Aioi-Brücke, wo der Wind vom Fluß her
wehte, schien es etwas

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