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Schwarzer Schmetterling

Schwarzer Schmetterling

Titel: Schwarzer Schmetterling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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und stellte sich wieder hinter die Kasse.
    Servaz hätte aufstehen und ihn befragen können, aber er war sich sicher, dass er hier keine verlässlichen Informationen erhalten würde. Eine fünfzehn Jahre zurückliegende Welle von Suiziden unter Jugendlichen … Er begann, konzentriert nachzudenken. Eine unglaubliche Geschichte. Was mochte etliche Jugendliche in dem Tal dazu veranlasst haben, sich umzubringen? Und fünfzehn Jahre später ein Mord und ein totes Pferd … Gab es einen Zusammenhang zwischen diesen beiden Serien von Ereignissen? Servaz kniff die Augen zusammen und heftete den Blick auf die Gipfel am Ausgang des Tals.
     
    Als Espérandieu im Flur des Gebäudes im Boulevard Embouchure Nr.  26 auftauchte, erschallte aus einem der Büros eine Donnerstimme.
    »Sieh an, da ist ja wieder der Schatz vom Chef!«
    Espérandieu beschloss, die Beleidigung zu ignorieren. Pujol war ein Großmaul mit dem Gehirn einer Schnecke – gar keine so seltene Verbindung. Ein großer, stämmiger Kerl mit graumeliertem Haarschopf, mittelalterlichem Gesellschaftsbild und einem Repertoire an Witzen, die nur sein Alter Ego zum Lachen brachten: Ange Simeoni – zwei unzertrennliche Obertrottel. Martin hatte sie schon zurechtgewiesen, und in seiner Gegenwart hätten sie sich eine solche Ausfälligkeit nie erlaubt. Aber Martin war nicht da.
    Espérandieu ging durch den ganzen Flur bis in sein Büro, das gleich neben dem seines Chefs lag. Hinter sich machte er die Tür zu. Samira hatte auf seinem Schreibtisch eine Notiz hinterlassen: »Habe die Wachleute wunschgemäß in die Fahndungsdatei aufgenommen.« Er zerknüllte den Zettel, warf ihn in den Papierkorb, startete auf seinem iPhone den Song
Family Tree
von TV on the Radio und öffnete anschließend seine Mailbox. Martin hatte ihn gebeten, möglichst viele Informationen über Eric Lombard zusammenzutragen, und er wusste, an wen er sich dafür wenden konnte. Espérandieu hatte gegenüber den meisten seiner Kollegen – mit Ausnahme von Samira – und auch gegenüber Martin einen Vorteil: Er war
modern.
Er gehörte der Generation an, die mit Multimedia, Cyberkultur, sozialen Netzwerken und Internetforen aufgewachsen war. Und dort machte man, vorausgesetzt, man wusste, wo man suchen musste, interessante Begegnungen. Allerdings legte er keinen gesteigerten Wert darauf, dass Martin oder sonst jemand erfuhr, wie er an diese Informationen gekommen war.
     
    »Tut mir leid, wir haben ihn heute noch nicht gesehen.«
    Der stellvertretende Direktor des Abfüllwerks sah Servaz ungeduldig an.
    »Wissen Sie, wo ich ihn finden kann?«
    Der dickleibige Mann zuckte mit den Schultern.
    »Nein. Ich habe versucht, ihn zu erreichen, aber sein Handy ist abgeschaltet. Normalerweise hätte er zur Arbeit kommen müssen. Haben Sie es bei ihm zu Hause probiert? Vielleicht ist er krank.«
    Servaz bedankte sich und verließ das kleine Werk. Ein hoher Drahtzaun mit einer Spirale aus Stacheldraht umfasste die Anlage. In Gedanken versunken entriegelte er seinen Jeep. In Chaperons Wohnung hatte er bereits angerufen. Vergeblich. Niemand hatte abgehoben. Servaz spürte, wie sich ihm vor Angst der Magen zusammenschnürte.
    Er stieg in sein Auto und setzte sich ans Lenkrad.
    Wieder musste er an Chaperons erschrockenen Blick denken. Was genau hatte Hirtmann noch gesagt?
Bitten Sie den Herrn Bürgermeister, Ihnen von den Selbstmördern zu erzählen.
Was wusste Hirtmann, was sie nicht wussten? Und woher zum Teufel wusste er es?
    Dann kam ihm ein anderer Gedanke. Servaz griff nach seinem Handy und wählte eine Nummer, die in seinem Notizbuch stand. Eine Frauenstimme meldete sich.
    »Servaz, Mordkommission«, stellte er sich vor. »Hatte Ihr Mann ein Zimmer für sich, ein Büro, irgendetwas, wo er seine Unterlagen aufbewahrte?«
    Kurzes Schweigen, dann hörte man, wie jemand in der Nähe des Telefons den Rauch einer Zigarette ausstieß.
    »Ja.«
    »Dürfte ich vorbeikommen und einen Blick darauf werfen?«
    »Hab ich wirklich die Wahl?«
    Die Frage war aus ihr herausgeschossen, aber diesmal ohne Schärfe.
    »Sie können sich weigern. Aber dann müsste ich einen richterlichen Durchsuchungsbefehl beantragen, den ich mit Sicherheit bekäme, und Ihre mangelnde Kooperationsbereitschaft würde zwangsläufig die Aufmerksamkeit des ermittelnden Staatsanwalts auf sich ziehen.«
    »Wann?«
    »Sofort, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
     
    Der Schneemann stand noch immer da, aber die Kinder waren weg. Ebenso die tote Katze. Es

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