mussten.
Auf dem Foto trugen die vier Männer karierte Hemden, Pullover und Hosen, deren Schnitt auf die Mode der neunziger Jahre verwies. Einer von den vieren hob eine Feldflasche, die vielleicht etwas anderes als Wasser enthielt; ein anderer sah mit einem abwesenden, matten Lächeln in die Kamera, als wäre er im Geist irgendwo anders, als würde ihn diese kleine Feier nichts angehen.
Servaz musterte die beiden anderen Wanderer. Der eine war ein gutgelaunter bärtiger Hüne, der andere ein recht hagerer großgewachsener Typ mit dichter brauner Mähne und einer großen Brille.
Er verglich den See auf dem Foto mit dem auf dem Poster an der Wand, ohne dass er hätte sagen können, ob es sich um denselben See aus zwei verschiedenen Perspektiven handelte oder um zwei verschiedene Seen.
Er drehte das Foto um.
Lac de l’Oule, Oktober 1993.
Eine klare, enge, präzise Handschrift.
Er hatte sich nicht geirrt. Das Foto war fünfzehn Jahre alt. Diese Männer waren damals ungefähr so alt wie er heute. Sie gingen auf die vierzig zu. Hatten sie noch Träume, oder hatten sie die Bilanz ihres Lebens bereits gezogen? Und war diese Bilanz positiv oder negativ ausgefallen?
Auf dem Foto lächelten sie, ihre Augen glänzten im sanften Licht eines Herbstabends, ihre Gesichter waren von tiefen Schatten durchzogen.
Aber was hatte es wirklich damit auf sich? Auf einem Foto lächelte jeder oder fast jeder. Unter dem nivellierenden Einfluss der globalen Medien spielt heute jeder eine Rolle, sagte sich Servaz. Viele übertreiben sogar das Rollenspiel ihres eigenen Lebens, als stünden sie auf einer Bühne. Kitsch und schöner Schein sind zur Regel geworden.
Fasziniert nahm er das Foto genauer unter die Lupe.
War es von Bedeutung?
Ein kleines vertrautes Signal sagte ihm undeutlich ja.
Er zögerte, dann steckte er das Foto in die Tasche.
Just in diesem Moment hatte er das Gefühl, etwas vergessen zu haben. Ein starkes Gefühl. Unvermittelt. Als hätte sein Gehirn unbewusst ein Detail registriert und schlüge jetzt Alarm.
Er zog das Foto wieder heraus. Musterte es. Die vier lächelnden Männer. Das zarte Abendlicht. Der See. Der Herbst. Die silbern schimmernde Wasseroberfläche. Der Schatten des Berges, der auf den See fiel. Nein, das war es nicht. Und doch war da dieses Gefühl. Klar und deutlich. Unbestreitbar. Ohne sich dessen bewusst zu sein, hatte er etwas gesehen.
Und dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.
Die Hände.
Bei drei der vier Personen war die rechte Hand sichtbar:
Alle trugen einen großen goldenen Siegelring am Ringfinger.
Die Aufnahme war aus zu großer Entfernung gemacht worden, um es mit Sicherheit sagen zu können, doch Servaz hätte geschworen, dass es sich jedes Mal um den gleichen Ring handelte.
Und dieser Ring hätte an Grimms abgeschnittenem Finger sitzen sollen …
Er verließ das Zimmer. Musik erfüllte das Haus. Jazz. Servaz ging durch den mit Gerümpel zugestellten Gang zur Quelle der Musik und gelangte in ein Wohnzimmer, das genauso vollgestopft war. Die Witwe saß in einem Sessel. Sie las. Sie sah auf und warf ihm einen höchst feindseligen Blick zu. Servaz schwenkte die Schlüssel.
»Wissen Sie, was das für Schlüssel sind?«
Sie zögerte einen Moment – sie schien sich zu fragen, was sie riskierte, wenn sie nichts sagte.
»Wir haben eine Hütte im Sospeltal«, antwortete sie schließlich. »Zehn Kilometer von hier. Südlich von Saint-Martin … Unweit der spanischen Grenze. Aber wir … oder vielmehr mein Mann fuhr nur am Wochenende dorthin, ab dem Frühjahr.«
»Ihr Mann? Und Sie?«
»Mir ist es dort zu unheimlich. Ich bin nie mitgekommen. Mein Mann fuhr dorthin, um allein zu sein, sich auszuruhen, zu meditieren und zu angeln.«
Sich auszuruhen,
dachte Servaz. Seit wann hat ein Apotheker das Bedürfnis, sich auszuruhen? Lässt er nicht seine Angestellten schuften? Dann sagte er sich, dass er allzu negativ dachte: Was wusste er schon vom Beruf des Apothekers? Eines war sicher: Diese Hütte musste er besuchen.
Nach achtunddreißig Minuten erhielt Espérandieu die Antwort auf seine Nachricht. Feiner Regen streifte die Scheiben. Über Toulouse war es dunkel geworden, und die verschwommenen Lichter hinter der regentriefenden Scheibe sahen aus wie Motive eines Bildschirmschoners.
Vincent hatte die folgende Nachricht verschickt:
Von
[email protected] an kleim 162 @lematin.fr, 16 : 33 : 54 :
[Weißt du etwas über Eric Lombard?]
Von kleim