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Schwarzer Schmetterling

Schwarzer Schmetterling

Titel: Schwarzer Schmetterling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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ihr eine Heidenangst eingejagt. Sie beschloss, ins Institut zurückzukehren und sich in der kleinen Personalküche etwas Warmes zu essen zu machen. Das würde ihre Nerven beruhigen. Als sie die Gebäude verließ, wehte der Wind noch stärker, und sie begann, heftig zu zittern. Sie wusste, dass das nicht allein an der Kälte lag.
     
    Servaz fuhr geradewegs zum Rathaus. Ein großer rechteckiger Platz am Ufer des Flusses. Eine kleine Grünanlage mit einem Musikpavillon, Caféterrassen, und in der Mitte hingen die französische und die europäische Flagge schlaff an einem Balkon. Servaz stellte seinen Wagen auf einem kleinen Parkplatz zwischen der Grünanlage und dem breiten, klaren Fluss ab, der unterhalb einer Betonmauer lebhaft dahinströmte.
    Er ging um die Blumenrabatten herum, schlängelte sich zwischen den parkenden Autos hindurch und betrat das Rathaus. Im ersten Stock erfuhr er, dass der Bürgermeister nicht da war und sich wahrscheinlich in der Mineralwasser-Abfüllfabrik aufhielt, die er leitete. Die Sekretärin rückte nur ungern seine Handynummer heraus, und als Servaz die Nummer wählte, ging nur der Anrufbeantworter dran. Er hatte Hunger und sah ein weiteres Mal auf seine Uhr. 15 : 29  Uhr. Sie waren über fünf Stunden in der Klinik gewesen.
    Als er aus dem Rathaus herauskam, setzte er sich gleich auf die erste Caféterrasse an der Grünanlage. Auf der anderen Straßenseite gingen Halbwüchsige offenbar von der Schule nach Hause; andere fuhren auf Mofas, deren Auspuff ohrenbetäubend knatterte.
    Ein Kellner kam. Servaz sah auf. Ein hochgewachsener dunkelhaariger Typ um die dreißig, der mit seinem Stoppelbart und seinen braunen Augen bestimmt den Frauen gefiel. Servaz bestellte ein Bier vom Fass und ein Omelett.
    »Sind Sie schon lange in dieser Gegend?«, fragte er.
    Der Kellner sah ihn in einer Mischung aus Argwohn und Belustigung an. Servaz wurde mit einem Mal klar, dass der Kellner sich fragte, ob er gerade angebaggert wurde. Das war ihm bestimmt schon passiert.
    »Ich bin zwanzig Kilometer von hier geboren«, antwortete er.
    »Die Selbstmörder, sagt Ihnen das etwas?«
    Diesmal war der Argwohn stärker als die Belustigung.
    »Wer sind Sie? Journalist?«
    Servaz zog seinen Dienstausweis hervor.
    »Mordkommission. Ich ermittle im Mord an dem Apotheker Grimm. Sie haben doch sicher davon gehört?«
    Der Kellner nickte vorsichtig.
    »Und? Die Selbstmörder – sagt Ihnen das etwas?«
    »Wie allen hier.«
    Servaz spürte einen jähen Stich und richtete sich auf seinem Stuhl auf.
    »Das heißt?«
    »Das ist eine alte Geschichte, viel weiß ich nicht.«
    »Dann erzählen Sie mir das bisschen, was Sie wissen.«
    Der Kellner ließ den Blick über die Terrasse schweifen und trat von einem Fuß auf den anderen, und sein Gesichtsausdruck wurde immer verlegener.
    »Das ist lange her …«
    »Wie lange?«
    »Etwa zehn Jahre.«
    »Und
was
ist lange her?«
    Der Kellner warf ihm einen erstaunten Blick zu.
    »Na … die Selbstmordwelle.«
    Servaz sah ihn verständnislos an.
    »Welche Selbstmordwelle?«, sagte er gereizt. »Was wollen Sie damit sagen, verdammt?«
    »Mehrere Selbstmorde … Jugendliche … Jungen und Mädchen zwischen vierzehn und achtzehn Jahren, glaube ich.«
    »Hier in Saint-Martin?«
    »Ja. Und in den Dörfern im Tal.«
    »Mehrere Selbstmorde? Wie viele?«
    »Ich weiß nicht genau. Ich war damals elf! Vielleicht fünf. Oder sechs. Oder sieben. Jedenfalls weniger als zehn.«
    »Und sie haben sich alle gleichzeitig umgebracht?«, fragte Servaz verblüfft.
    »Nein, aber kurz hintereinander. Über einen Zeitraum von ein paar Monaten.«
    »Was heißt das, ein paar Monate? Zwei? Drei? Zwölf?«
    »Eher zwölf. Ja. Vielleicht ein Jahr. Ich weiß nicht …«
    Nicht gerade von der schnellen Sorte, der Sonntags-Playboy, sagte sich Servaz. Oder aber er stellte sich absichtlich dumm.
    »Weiß man, warum sie das getan haben?«
    »Ich glaube, nicht. Nein.«
    »Sie haben keine Abschiedsbriefe hinterlassen?«
    Der Kellner zuckte mit den Achseln.
    »Hören Sie, ich war ein kleiner Junge. Sie finden bestimmt ältere Leute, die Ihnen Genaueres darüber sagen können. Ich weiß nicht mehr. Tut mir leid.«
    Servaz sah ihm nach, wie er zwischen den Stühlen fortging und im Innern verschwand. Er versuchte nicht, ihn zurückzuhalten. Durch eine Scheibe sah er, wie er mit einem korpulenten Mann sprach, der vermutlich der Chef war. Der Mann warf einen finsteren Blick in seine Richtung, dann zuckte er mit den Achseln

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