Schwarzer Schmetterling
nicht glauben, wenn ich es Ihnen sagen würde.«
»Sagen Sie es trotzdem.«
»Julian Hirtmann.«
Saint-Cyr starrte ihn lange an. Er schien perplex zu sein.
»Meinen Sie das ernst?«
»Absolut.«
Der alte Richter schwieg kurz.
»Was machen Sie heute Abend gegen zwanzig Uhr?«, fragte er.
»Ich habe nichts vor.«
»Dann kommen Sie doch zu mir zum Essen. Wenn man meinen Gästen glauben darf, bin ich ein fabelhafter Koch. Impasse du Torrent, Nummer 6 . Sie können es nicht verfehlen: Es ist die Mühle ganz am Ende der Straße, am Waldrand. Bis heute Abend.«
»Ich hoffe, es ist alles in Ordnung«, sagte Servaz.
Chaperon drehte sich mit einer Geste der Verlegenheit um. Er hatte bereits die Hand an der Tür seines Autos. Er wirkte angespannt und besorgt. Als er Servaz sah, lief sein Gesicht rot an.
»Wieso fragen Sie mich das?«
»Ich habe gestern den ganzen Tag versucht, Sie zu erreichen«, antwortete Servaz mit einem freundschaftlichen Lächeln. Vergeblich.
Für den Bruchteil einer Sekunde wirkte der Bürgermeister von Saint-Martin verärgert. Er bemühte sich sichtlich, gelassen zu bleiben – aber ohne dass es ihm so richtig gelang.
»Der Tod von Gilles hat mich erschüttert. Dieser schreckliche Mord … Diese Grausamkeit … das ist furchtbar … Ich musste einfach eine Auszeit nehmen, allein sein. Ich habe eine Bergwanderung gemacht.«
»Allein im Gebirge? Hatten Sie keine Angst?«
Die Frage ließ den Bürgermeister zusammenzucken.
»Weshalb sollte ich Angst haben?«
Als Servaz den braungebrannten kleinen Mann anstarrte, glaubte er deutlich zu erkennen, dass er nicht nur Angst hatte, sondern buchstäblich in Panik war. Er fragte sich, ob er ihn jetzt nach den Selbstmördern fragen sollte, aber er gelangte zu dem Schluss, dass er besser nicht alle Karten gleichzeitig auf den Tisch legte. Nach dem Abendessen bei Saint-Cyr wäre er schlauer. Trotzdem zog er das Foto aus seiner Tasche.
»Sagt Ihnen dieses Foto etwas?«
»Wo haben Sie das gefunden?«
»Bei Grimm.«
»Ein altes Foto.« Chaperon wich seinem Blick aus.
»Ja, Oktober 1993 «, präzisierte Servaz.
Chaperon machte eine Geste mit der rechten Hand, wie um zu sagen, dass das sehr lange her war. Einen kurzen Moment lang schwebte seine von kleinen braunen Flecken gesprenkelte Hand vor Servaz’ Augen. Die Überraschung ließ den Polizisten erstarren. Der Bürgermeister trug keinen Siegelring mehr, aber er hatte ihn erst vor kurzem ausgezogen, denn
um den Ringfinger lief ein schmales Band hellerer Haut.
Eine Sekunde lang stürzten Unmengen von Fragen auf Servaz ein.
Grimm war der Finger abgeschnitten worden, Chaperon hatte seinen Siegelring abgelegt – diesen Ring, den die vier Männer auf dem Foto trugen. Was hatte das zu bedeuten? Der Mörder wusste es offenbar. Standen auch die anderen beiden Personen auf dem Foto irgendwie mit dem Tod des Apothekers in Verbindung? Und falls ja, woher wusste Hirtmann davon?
»Kannten Sie sie gut?«, fragte Servaz.
»Ja, ziemlich gut. Auch wenn ich mich mit Perrault damals häufiger traf als heute.«
»Es waren auch Ihre Partner beim Poker.«
»Ja, und bei den Wanderungen. Aber ich wüsste nicht …«
»Danke«, fiel ihm Servaz ins Wort. »Im Moment habe ich keine weiteren Fragen.«
»Wer ist das?«, fragte Ziegler im Auto und deutete auf den Mann, der sich mit kleinen Schritten auf einen Peugeot 405 zubewegte, der fast genauso altersgebeugt war wie er.
»Gabriel Saint-Cyr, Ermittlungsrichter im Ruhestand. Ich bin ihm gestern Morgen im Gericht begegnet.«
»Worüber haben Sie gesprochen?«
»Über Grimm, Chaperon, Perrault und einen gewissen Mourrenx.«
»Die drei Pokerspieler … Und wer ist Mourrenx?«
»Der Vierte in der Gruppe. Vor zwei Jahren gestorben. Krebs. Laut Aussage von Saint-Cyr gab es vor dreißig Jahren mal eine Anzeige wegen Erpressung gegen sie. Sie haben ein Mädchen betrunken gemacht und dann Nacktfotos von ihr gemacht. Anschließend haben sie ihr damit gedroht, die Fotos in Umlauf zu bringen, wenn …«
»Wenn sie nicht gewisse Dinge tut …«
»Genau.«
Servaz bemerkte ein flüchtiges Funkeln in Zieglers Augen.
»Das könnte eine Spur sein«, sagte sie.
»Welche Verbindung besteht zu dem Pferd von Lombard und zu Hirtmann?«
»Ich weiß nicht.«
»Das liegt dreißig Jahre zurück. Vier betrunkene junge Männer und ein Mädchen, das ebenfalls blau war. Na und? Sie waren jung. Sie haben Mist gebaut. Wohin bringt uns das?«
»Das ist vielleicht nur
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