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Schwarzer Schmetterling

Schwarzer Schmetterling

Titel: Schwarzer Schmetterling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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vorsehen.«
    »Wieso ich?«
    »Das weißt du genau.«
    »Nein, kannst du ein bisschen deutlicher werden?«
    »Sie hassen dich. Sie glauben, dass du ein Homo bist. Das ist für sie ungefähr so, als wärst du pädophil oder würdest Ziegen ficken.«
    »Dich hassen sie auch«, bemerkte Espérandieu, ohne allzu sehr an Samiras Ausdrucksweise Anstoß zu nehmen.
    »Nicht so wie dich. Mich mögen sie nicht, weil ich halb chinesisch, halb arabisch bin. Fehlt nur noch ein bisschen schwarzes Blut. Kurz, ich gehöre ins feindliche Lager. Bei dir ist das anders. Sie haben tausend Gründe, dich zu hassen: dein Benehmen, deine Klamotten, die Unterstützung durch Martin, deine Frau …«
    »Meine
Frau?
«
    Samira musste lächeln.
    »Natürlich. Sie begreifen einfach nicht, wie ein Typ wie du eine solche Frau heiraten konnte.«
    Jetzt musste Espérandieu lächeln. Er schätzte Samiras Offenheit, aber manchmal hätte ihr ein wenig Diplomatie nicht geschadet.
    »Das sind Neandertaler«, sagte er.
    »Primaten«, bestätigte Samira. »Aber wenn ich du wäre, würde ich mich vorsehen. Ich bin mir sicher, dass sie irgendwas aushecken.«
     
    Als Servaz vor Grimms Hütte aus dem Wagen stieg, fragte er sich, ob er gestern nicht halluziniert hatte. Das Tal wirkte nicht mehr so düster und gespenstisch. Als er die Wagentür zuschlug, spürte er, dass die Halsschmerzen wieder da waren. Er hatte heute Morgen vergessen, seine Tablette einzunehmen.
    »Haben Sie zufällig ein bisschen Wasser dabei?«, fragte er.
    »Im Handschuhfach ist eine Flasche Mineralwasser«, sagte Ziegler.
    Sie stapften los zu der Hütte am Ufer des Flusses; silbern glänzte er zwischen den Baumstämmen und wob ein Netz kristallklarer Stimmen. An den grauen Berghängen standen weniger Buchen, Tannen und Fichten. Etwas weiter weg am Ufer des Gebirgsbachs lag eine wilde Müllkippe. Servaz sah verrostete Kanister, schwarze Müllsäcke, eine stockfleckige Matratze, einen Kühlschrank und sogar einen alten Computer, dessen auf dem Boden liegende Kabel an die Fangarme eines toten Kraken erinnerten. Noch bis in dieses urwüchsige Tal hinein konnte der Mensch nicht anders, als alles, was er berührte, zu verstümmeln.
    Er ging die Stufen zur Veranda hinauf. Ein breites Band mit der Aufschrift »
Gendarmerie Nationale
 – Betreten verboten« war diagonal über die Eingangstür gespannt. Servaz hob es an und schloss die Tür auf, ehe er sie mit einem kurzen Tritt aufstieß. Er trat zur Seite, um Ziegler vorbeizulassen.
    »Die Mauer links«, sagte er.
    Sie machte einen Schritt hinein – und blieb unvermittelt stehen.
    »Oh, verdammt!«
    Servaz trat ebenfalls ein. Die Theke und Wandschränke der amerikanischen Küche zu seiner Rechten, die mit Kissen vollgepackte Schlafcouch im hinteren Teil und darunter die Schubladen, die in der Ecke verräumten Angelgeräte – Ruten, Körbe, Stiefel, Kescher: Alles war sehr sorgfältig mit verschiedenen Pulvern bestäubt worden: Aluminium, Bleiweiß, Englischrot, schwarzes Magnetpulver, rosa fluoreszierendes Pulver … Damit sollten versteckte Fingerabdrücke zum Vorschein gebracht werden. An einigen Stellen deuteten große blaue Zonen darauf hin, dass die Techniker Blue Star aufgetragen hatten: Sie hatten, offenbar vergeblich, nach möglichen Blutspuren gesucht. Überall waren numerierte Karten mit Nadeln befestigt. Aus dem Teppich waren sogar Gewebestücke herausgeschnitten worden.
    Unauffällig sah er Ziegler an.
    Sie wirkte erschüttert. Sie starrte die Wand auf der linken Seite an: Dort hing wie ein schlafender Schmetterling das große schwarze Cape, und seine moirierten dunklen Falten stachen von der hellen Holztäfelung ab. Es hing an der Kapuze an einem Kleiderhaken. Unter dem Cape stand ein Paar Stiefel auf dem unbehandelten Kiefernboden. Pulverspuren glänzten auch auf dem schwarzen Gewebe und den Stiefeln.
    »Ich weiß nicht, wieso ich Gänsehaut bekomme, wenn ich dieses Ding sehe. Schließlich ist das nur Regenkleidung und ein Paar Stiefel.«
    Servaz warf einen Blick durch die offene Tür. Draußen war alles still. Aber das Bild der Scheinwerfer, die plötzlich in seinem Rückspiegel auftauchten, zog immer wieder an seinem inneren Auge vorbei. Er lauschte nach Motorengeräusch, aber er hörte nur die Stimme des Flusses. Wieder spürte er die instinktive Angst, die ihn gestern Abend gepackt hatte. Reine, rohe Angst.
    »Was ist los?«, fragte Ziegler, die seinen Blick bemerkt hatte.
    »Gestern ist mir jemand auf der Straße

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