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Schwarzer Schmetterling

Schwarzer Schmetterling

Titel: Schwarzer Schmetterling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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des Raumes zu, die Augen taten ihm weh von dem allzu hellen Licht der Schienenleuchten und dem grellen Weiß der Räume. Er wollte gerade einen Fuß auf die unterste Stufe setzen, als ihm ein riesiges Gemälde auffiel, das an der hinteren Wand hing.
    Eigentlich war das gar kein Gemälde, sondern eine vier Meter hohe Fotografie.
    Eine riesige Kreuzigung in kränklichen bläulichen Tönen. Hinter dem Kreuz erahnte man einen Gewitterhimmel, wo Wolken brodelten, die von aschgrauen Blitzen zerschnitten wurden. Am Kreuz hing statt Christus eine schwangere Frau. Den Kopf zur Seite geneigt, vergoss sie blutige Tränen. Tiefrotes Blut tropfte von der Dornenkrone auf ihre bläuliche Stirn. Sie war nicht nur gekreuzigt worden, man hatte ihr auch die Brüste ausgerissen, an ihrer Stelle klafften zwei riesige Wunden in dem gleichen kräftigen Rot, und ihre Augen waren von einem durchscheinenden, milchigen Weiß, als wäre ihre Hornhaut getrübt.
    Servaz wich unwillkürlich zurück. Dieses Bild war von einem Realismus und einer rohen Brutalität, die unerträglich waren. Welcher Verrückte war auf diese Idee gekommen?
    Woher kam diese Faszination an der Gewalt, fragte er sich. Diese Lawine schockierender Bilder im Fernsehen, im Kino und in Büchern. War das ein Versuch, die Angst zu bannen? Die meisten dieser Künstler kannten Gewalttätigkeit nur indirekt, abstrakt. Anders gesagt, sie kannten sie gar nicht. Würden Polizisten, die an Tatorten mit unerträglichen Bildern von entstellten Toten konfrontiert waren, Feuerwehrleute, die jede Woche Unfallopfer aus ihren Autos herausschnitten, Staatsanwälte, die Tag für Tag Kenntnis von grauenhaften Verbrechen erlangten, anfangen zu malen, zu bildhauern oder zu schreiben, wer weiß, was sie darstellen würden, was dabei herauskäme? Das Gleiche oder etwas ganz anderes?
    Die Eisenstufen vibrierten unter seinen Schritten, als er nach oben stieg. Charlène plauderte mit einem eleganten Mann, der einen sehr teuren Anzug trug und seidiges weißes Haar hatte. Sie hielt inne und bedeutete ihm, näher zu treten, dann stellte sie die beiden Männer einander vor. Servaz glaubte zu verstehen, dass der Mann, ein Bankier, einer der besten Kunden der Galerie war.
    »Nun, ich werde wieder hinuntergehen, um diese sehr schöne Ausstellung zu bewundern«, sagte er. »Noch einmal meine Komplimente für Ihre vollkommene Geschmackssicherheit, meine Liebe. Ich weiß nicht, wie Sie es anstellen, um jedes Mal so talentierte Künstler aufzutreiben.«
    Der Mann entfernte sich. Servaz fragte sich, ob er ihn auch nur eines Blickes gewürdigt hatte, er schien seinen Zustand nicht einmal bemerkt zu haben. Für solche Leute war Servaz nur Luft. Charlène küsste Servaz auf die Wange, und er roch Himbeergeist und Wodka in ihrem Atem. Sie strahlte in ihrem roten Schwangerschaftskleid unter einer kurzen weißen Vinyljacke, und wie ihre Halskette funkelten auch ihre Augen etwas zu sehr.
    »Man könnte meinen, es regnet«, sagte sie, während sie ihn liebevoll anlächelte. Sie zeigte auf die Galerie. »Du kommst nur selten. Es freut mich sehr, dass du da bist, Martin. Gefällt es dir?«
    »Es ist ein wenig …
verunsichernd
«, antwortete er.
    Sie lachte.
    »Der Künstler nennt sich Mentopagus. Das Thema der Ausstellung ist
Grausamkeit.
«
    »Dann ist es jedenfalls absolut gelungen«, scherzte er.
    »Du siehst ziemlich mitgenommen aus, Martin.«
    »Tut mir leid, ich hätte in diesem Zustand nicht reinkommen sollen.«
    Sie wischte seine Entschuldigung mit einer Geste vom Tisch.
    »Das beste Mittel, um hier nicht aufzufallen, ist ein drittes Auge mitten auf der Stirn. All diese Leute glauben, dass sie an der Spitze der Avantgarde, der Modernität, des Nonkonformismus stehen – dass sie innerlich
schön
sind – und besser sind als die anderen …«
    Die Bitterkeit, die in ihrer Stimme durchklang, überraschte ihn, und er betrachtete ihr Glas, das mit Eiswürfeln gefüllt war. Vielleicht war es der Alkohol.
    »Das Klischee des egozentrischen Künstlers«, sagte er.
    »Wenn Klischees zu Klischees werden, dann doch gerade deshalb, weil sie wahr sind«, erwiderte sie. »Tatsächlich glaube ich, dass ich nur zwei Menschen kenne, die wahre innere Schönheit besitzen«, fuhr sie fort, als würde sie mit sich selbst sprechen. »Vincent und du. Zwei Polizisten … Allerdings ist sie bei dir ziemlich gut versteckt …«
    Dieses Geständnis überraschte ihn. Er hätte es nicht erwartet.
    »Ich hasse Künstler«, entfuhr es ihr

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