Schwarzer Schmetterling
müssen unbedingt Chaperon finden.«
»Okay«, sagte sie nach kurzem Zögern. »Du bist jedenfalls ausgepowert. Ruh dich aus. Ich ruf dich an, wenn’s was Neues gibt. Ich werde mich jetzt auch so allmählich aufs Ohr legen. Wie du sagst: Wir müssen klar denken können.«
»Gute Nacht, Irène.«
Er trennte die Verbindung und wählte die Nummer seines Stellvertreters.
»Espérandieu«, sagte Espérandieu.
»Sie ist bei sich zu Hause. Jedenfalls lief ein Fernseher im Hintergrund.«
»Aber sie hat nicht geschlafen.«
»Wie eine Menge Leute, die spät zu Bett gehen. Und du, wo bist du?«
»Auf der Autobahn. Ich fahr kurz runter und tanke, dann komm ich. Hab noch nie eine so düstere Landschaft gesehen. Ich bin in fünfzig Minuten da. Was hältst du davon, dich bei ihr auf die Lauer zu legen?«
Er zögerte. Hätte er genug Kraft?
»Ich weiß nicht einmal, wo sie wohnt.«
»Du machst doch Scherze?«
»Nein.«
»Was tun wir also?«
»Ich ruf d’Humières an«, beschloss Servaz.
»Um diese Uhrzeit?«
Servaz legte sein Handy aufs Bett, ging ins Bad und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Er hätte gern einen Kaffee getrunken, aber das konnte er sich aus dem Kopf schlagen. Dann kehrte er ins Schlafzimmer zurück und rief Cathy d’Humières an.
»Martin? Verdammt! Wissen Sie, wie spät es ist? In Ihrem Zustand sollten Sie längst schlafen!«
»Tut mir leid«, sagte er. »Aber es eilt.«
Er ahnte, dass sich die Staatsanwältin in ihrem Bett aufsetzte.
»Ein weiteres Opfer?«
»Nein. Aber eine ziemlich unangenehme Überraschung. Wir haben einen neuen Verdächtigen. Aber ich kann vorerst mit niemandem darüber reden. Außer mit Ihnen.«
» WER ?«, sagte d’Humières, plötzlich hellwach.
»Capitaine Ziegler.«
Langes Schweigen am anderen Ende.
»Erzählen Sie mir alles.«
Er tat es. Er erzählte ihr von Saint-Cyrs Liste, von der Tatsache, dass Irène weg war, als Perrault umgebracht wurde, davon, dass sie nichts über ihre Kindheit und ihren Aufenthalt in der Kolonie hatte verlauten lassen und dass sie sich eisern über ihr Privatleben ausschwieg.
»Das beweist nicht, dass sie die Täterin ist«, sagte d’Humières.
So denken Juristen,
sagte er sich. Seiner Meinung nach war Irène Ziegler jetzt die Hauptverdächtige. Aber seinen Instinkt als Polizist behielt er jetzt lieber für sich.
»Aber Sie haben recht, das ist verstörend. Diese Geschichte mit der Liste gefällt mir ganz und gar nicht. Was erwarten Sie von mir? Ich nehme an, dass Sie mich nicht um diese Uhrzeit anrufen, um mir etwas mitzuteilen, was bis morgen warten könnte.«
»Wir brauchen ihre Adresse. Ich habe sie nicht.«
»Wir?«
»Ich habe Espérandieu gebeten, zu kommen.«
»Wollen Sie sie observieren? Jetzt, mitten in der Nacht?«
»Vielleicht.«
»Verdammt, Martin! Sie sollten schlafen! Haben Sie mal in den Spiegel geschaut?«
»Besser nicht.«
»Das gefällt mir nicht. Seien Sie vorsichtig. Wenn sie die Täterin ist, kann es gefährlich werden. Sie hat schon zwei Menschen umgebracht. Und sie geht mit Waffen wahrscheinlich mindestens genauso gut um wie Sie.«
Gelinde gesagt,
dachte er. Er war eine Null im Schießen. Und seinen Stellvertreter konnte er sich auch nicht gerade als zweiten Dirty Harry vorstellen.
»Rufen Sie mich in fünf Minuten wieder an, ich muss ein, zwei Telefonate führen«, sagte sie ihm. »Bis gleich.«
Vierzig Minuten später klopfte Espérandieu an die Tür. Servaz machte auf. Sein Stellvertreter hatte Schneeflocken auf dem Anorak und im Haar.
»Hast du ein Glas Wasser und einen Kaffee?«, sagte er, ein Röhrchen Aspirin in der Hand. Dann blickte er zu seinem Chef auf. »Mannomann!«
Als Servaz das Haus von Saint-Cyr verließ, war Diane noch immer in ihrem Büro.
Sie fragte sich, was sie jetzt tun sollte.
Sie bereitete sich darauf vor, zur Tat zu schreiten. Aber wollte sie das wirklich? Vielleicht sollte sie einfach so tun, als ob nichts gewesen wäre, und vergessen, was sie entdeckt hatte. Mit Spitzner darüber reden? Anfangs hatte sie das für eine gute Idee gehalten, doch nachdem sie gründlich darüber nachgedacht hatte, war sie sich nicht mehr so sicher. In Wirklichkeit wusste sie überhaupt nicht, an wen sie sich wenden sollte.
Sie war allein, sich selbst überlassen. Sie sah auf die Uhr in der Ecke des Bildschirms.
23 : 15 Uhr.
In der Klinik herrschte völlige Stille, abgesehen von dem Wind, der in Böen gegen das Fenster wehte. Sie hatte ihr Excel-Programm mit allen Daten
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