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Schwarzer Schmetterling

Schwarzer Schmetterling

Titel: Schwarzer Schmetterling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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gefüttert, die sie im Verlauf ihrer Gespräche heute zusammengetragen hatte. Xavier hatte sein Büro schon längst verlassen.
Jetzt oder nie …
Sie spürte, wie sich ihr Magen verkrampfte. Was würde passieren, wenn jemand sie überraschte? Besser nicht daran denken.
     
    »Ich sehe sie.«
    Espérandieu reichte ihm das Fernglas. Servaz richtete es auf das kleine, dreistöckige Gebäude am Fuß des Hangs. Irène Ziegler stand mitten im Wohnzimmer, ein Handy am Ohr. Sie schien munter zu plaudern. Sie war angezogen wie jemand, der gleich ausgehen will –
nicht wie jemand, der den Abend vor dem Fernseher verbringt, ehe er schlafen geht.
    »Sieht nicht so aus, als wollte sie ins Bett«, bemerkte Espérandieu, während wieder er das Fernglas nahm.
    Sie standen etwa zwanzig Kilometer von Saint-Martin entfernt auf einer kleinen Anhöhe am Rand eines Parkplatzes mit einer Panoramatafel. Eine Hecke umgab den Parkplatz. Sie waren zwischen zwei Sträucher geschlüpft. Eisiger Wind rüttelte an der Hecke. Servaz hatte den Kragen seiner Jacke hochgeschlagen, und Espérandieu verkroch sich unter der Kapuze seines allmählich weiß werdenden Anoraks. Servaz schlotterte und klapperte mit den Zähnen. Es war 0 : 42  Uhr.
    »Sie kommt raus!«, sagte Espérandieu, als er sah, wie sie in der Diele nach einer Motorradjacke griff.
    Im nächsten Moment schlug sie die Wohnungstür zu. Er richtete das Fernglas auf den Hauseingang. Zwanzig Sekunden später tauchte Ziegler auf. Sie stieg die Stufen hinunter und stapfte trotz des Schnees zu ihrem Motorrad.
    »Verdammt! Das ist doch nicht zu glauben!«
    Sie liefen zum Wagen. Die Hinterreifen rutschten leicht seitlich weg, als sie unten am Hang die Kurve vor dem Wohnblock nahmen. Gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie das Motorrad oben an der Straße Richtung Zentrum nach rechts abbog. Als sie ihrerseits die Kreuzung erreichten, war die Ampel rot. Sie überfuhren sie. Unwahrscheinlich, zu dieser Uhrzeit und bei diesem Wetter jemandem zu begegnen. Sie fanden sich auf einer langen, vom Schnee bedeckten Allee wieder. In der Ferne fuhr Ziegler sehr langsam vor sich hin. Was ihnen die Aufgabe erleichterte, sie aber auch der Gefahr aussetzte, entdeckt zu werden, denn sie waren ganz allein auf dieser langen weißen Straße.
    »Sie wird noch Lunte riechen, wenn das so weitergeht«, sagte Espérandieu und bremste.
    Sie verließen die Ortschaft und fuhren etwa zehn Minuten lang mit vermindertem Tempo, vorbei an zwei menschenleeren Dörfern und durch eine verschneite Wiesenlandschaft, die links und rechts von Bergen gerahmt wurde. Espérandieu hielt großen Abstand zu Ziegler, so dass sie nur noch das Rücklicht ihres Motorrads sahen, das so schwach leuchtete wie das glühende Ende einer Zigarette in einem nächtlichen Schneegestöber.
    »Wohin fährt sie nur?«
    In seiner Stimme klang die gleiche Ratlosigkeit an, die man auch seinem Chef anmerkte. Servaz antwortete nicht.
    »Glaubst du, dass sie Chaperon gefunden hat?«
    Bei diesem Gedanken verkrampfte sich Servaz. Er spürte, wie die Anspannung in ihm wuchs, als er daran dachte, was gleich passieren konnte. Alles sprach dafür, dass er mit seiner Vermutung richtiglag: Sie hatte ihn angelogen; sie war nicht zu Bett gegangen, sie war mitten in der Nacht losgefahren, ohne irgendwem Bescheid zu geben. Immer wieder musste er an die verschiedenen Phasen der Ermittlungen denken, an jedes Detail, das auf sie hindeutete.
    »Sie ist rechts abgebogen.«
    Servaz richtete den Blick geradeaus. Sie war gerade von der Straße auf einen beleuchteten Parkplatz vor einem niedrigen, rechteckigen Gebäude gefahren, das aussah wie eines der zahllosen Warenlager an jeder Landstraße. Durch das Schneetreiben hindurch sahen sie eine Neonröhre in die Nacht leuchten. Sie hatte die Form eines Frauenkopfs im Profil – die Frau rauchte eine Zigarette und trug eine Melone. Der Rauch der Zigarette bildete die Wörter » PINK BANANA «. Espérandieu fuhr noch langsamer. Sie sahen, dass Ziegler anhielt und abstieg.
    »Was ist das denn?«, fragte Servaz. »Ein Nachtklub?«
    »Eine Miezenbar«, antwortete Espérandieu.
    »Was?«
    »Ein Tanzlokal für Lesben.«
    Sie fuhren im ersten Gang auf den Parkplatz, just, als sie den Türsteher begrüßte, der über seinem Smoking eine dicke Jacke mit Pelzkragen trug. Zwischen zwei Plastikpalmen hindurch verschwand sie im Innern. Espérandieu fuhr ganz langsam am Eingang der Diskothek vorbei. Ein Stück weiter befanden sich weitere

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