Schwarzer Schmetterling
quaderförmige Gebäude. Wie riesige Schuhschachteln. Ein Gewerbegebiet. Er wendete und parkte den Wagen im Rückwärtsgang in einem dunklen Winkel, fern der Straßenlaternen und der Neonröhren, die Motorhaube auf den Eingang der Diskothek gerichtet.
»Du wolltest mehr über ihr Privatleben wissen, jetzt weißt du’s«, sagte er.
»Was macht sie dadrin?«
»Was glaubst du denn?«
»Ich meine: Sie ist hinter Chaperon her, sie weiß, dass die Zeit drängt, und trotzdem nimmt sie sich die Zeit hierherzukommen? Um ein Uhr morgens?«
»Es sei denn, sie ist hier mit jemandem verabredet, der ihr einen Tipp geben könnte.«
»In einer Lesbendisco?«
Espérandieu zuckte mit den Achseln. Servaz betrachtete die Uhr im Armaturenbrett. 1 : 08 Uhr.
»Fahr mich hin!«, sagte er.
»Wohin?«
»Zu ihrer Wohnung.«
Er wühlte in seiner Tasche und zog einen kleinen Bund mit Dietrichen heraus. Espérandieu runzelte die Stirn.
»He, he! Das ist keine gute Idee. Sie kann jeden Moment rauskommen.«
»Du setzt mich ab und fährst hierher zurück, um dich zu vergewissern, dass sie noch in der Disco ist. Ich gehe nicht rein, bis du mir grünes Licht gegeben hast. Ist dein Handy geladen?«
Servaz nahm seines heraus. Diesmal funktionierte es sogar. Espérandieu schüttelte den Kopf.
»Warte! Hast du mal in den Spiegel geschaut? Du kannst dich kaum mehr auf den Beinen halten! Wenn Irène Ziegler tatsächlich die Mörderin ist, dann ist sie extrem gefährlich.«
»Wenn du sie überwachst, bleibt mir genügend Zeit, mich aus dem Staub zu machen. Wir können hier nicht lange rumdiskutieren.«
»Und wenn dich ein Nachbar sieht und Alarm gibt? Confiant wird deine Karriere ruinieren! Dieser Typ hasst dich.«
»Niemand wird was erfahren. Los jetzt! Wir haben schon genug Zeit verloren.«
Diane sah sich um. Niemand. Der Gang war menschenleer. In diesem Bereich des Instituts, zu dem die Patienten keinen Zugang hatten, gab es keine Überwachungskameras. Sie drückte die Klinke herunter; die Tür war nicht abgeschlossen. Sie sah auf die Uhr. 0 : 12 Uhr. Sie trat ein. Der Mondschein, der durch das Fenster fiel, tauchte das Zimmer in einen silbrigen Schimmer:
Xaviers Büro.
Sie machte die Tür hinter sich zu. Sie war hellwach. Ihre Sinne waren unter der Anspannung so scharf wie bei einem wachsamen Tier. Ihr Blick glitt durch das Büro, das leer war – bis auf die Lampe, den Computer und das Telefon, das kleine Bücherregal rechts, die stählernen Aktenschränke links, den Kühlschrank in einem Winkel und die Topfpflanzen auf dem Fensterbrett. Draußen tobte der Sturm, und hin und wieder, wahrscheinlich wenn Wolken vor dem Mond vorüberzogen, wurde es so dunkel, dass sie außer dem grau-blauen Rechteck des Fensters gar nichts mehr sah; dann wieder war das Zimmer so hell erleuchtet, dass sie jedes Detail erkennen konnte.
Auf dem Boden, in einer Ecke, ein Paar Hanteln. Klein, aber schwer, stellte sie fest, als sie näher heranging. Jede Hantel trug vier schwarze Scheiben von jeweils zwei Kilogramm. Sie wollte die erste Schublade öffnen, doch sie war abgeschlossen.
Verflixt.
Die zweite dagegen war offen. Sie zögerte einen Moment, dann schaltete sie die Lampe auf dem Schreibtisch an. Sie wühlte zwischen den Aktenmappen und den Papieren in der Schublade, aber nichts fiel ihr auf. Die dritte Schublade war bis auf einige Filzstifte und Kugelschreiber leer.
Sie trat an die Metallschränke. Dort hingen Akten dicht an dicht. Diane nahm einige heraus und schlug sie auf.
Die Personalakten …
Sie stellte fest, dass es keine auf den Namen Elisabeth Ferney gab, dafür aber eine auf den Namen Alexandre Barski. Da es sonst keinen Alexandre gab, musste das der Pfleger sein. Sie hielt den Ordner näher an die Lampe, um besser lesen zu können.
Aus dem Lebenslauf von Alex ging hervor, dass er 1980 in der Elfenbeinküste geboren wurde. Er war jünger, als sie gedacht hatte. Ledig. Er wohnte in einem Ort namens Saint-Gaudens, Diane glaubte, sich zu erinnern, dass sie diesen Namen auf ihrer Karte gelesen hatte. Er war seit vier Jahren am Institut. Vorher hatte er in der psychiatrischen Klinik in Armentières gearbeitet. Während seiner Ausbildung hatte er zahlreiche Praktika absolviert, darunter eines in einer Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie, und Diane sagte sich, dass sie sich darüber in Zukunft unterhalten könnten. Sie wollte Alex näherkommen – und sich vielleicht sogar mit ihm anfreunden. Gute Beurteilungen. Im Laufe der
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