Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarzer Schmetterling

Schwarzer Schmetterling

Titel: Schwarzer Schmetterling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
Vom Netzwerk:
einen Commandanten der Mordkommission angekündigt, und vor ihnen stand ein Typ, der mit seiner für einen Vierzigjährigen noch recht sportlichen Figur, seinem Dreitagebart, seiner Samtjacke und seinen abgewetzten Jeans aussah wie ein Lehrer oder ein Journalist. Ohne ein Wort schob Servaz einen mit Fettflecken besprenkelten Pizzakarton und einen Becher zur Seite, in dem in einem Rest Kaffee Kippen schwammen. Dann setzte er sich halb auf die Tischkante, strich mit der Hand durch sein braunes Haar und wandte sich ihnen zu.
    Er starrte sie an. Einen nach dem anderen. Verweilte bei jedem ein paar Sekunden. Alle schlugen die Augen nieder – bis auf einen.
    »Wer hat es zuerst gesehen?«
    Ein Typ, der in einer Ecke des Zimmers saß, hob die Hand. Er trug ein kurzärmeliges Sweatshirt mit der Aufschrift » UNIVERSITY OF NEW YORK « über einem karierten Hemd.
    »Wie heißen Sie?«
    »Huysmans.«
    Servaz zog sein Notizbuch aus seiner Jacke.
    »Erzählen Sie.«
    Huysmans seufzte. Seine Geduld war im Verlauf der letzten Stunden auf eine harte Probe gestellt worden, zumal er von Natur aus nicht zu den Geduldigen gehörte. Er hatte seine Geschichte schon gut ein halbes Dutzend Mal erzählt, daher trug er sie diesmal etwas mechanisch vor.
    »Sie sind wieder hinuntergefahren, ohne einen Fuß auf die Plattform gesetzt zu haben. Warum?«
    Schweigen.
    »Aus Angst«, gestand Huysmans schließlich. »Wir hatten Angst, dass der Typ sich noch in der Gegend herumtreibt – oder dass er sich in den Stollen verkrochen hat.«
    »Wie kommen Sie darauf, dass es sich um einen Mann handelt?«
    »Können Sie sich vorstellen, dass eine Frau so etwas tut?«
    »Gibt es Streitigkeiten unter den Arbeitern?«
    »Wie überall«, sagte ein Zweiter. »Schlägereien zwischen Betrunkenen, Frauengeschichten, Typen, die sich nicht ausstehen können. Mehr nicht.«
    »Wie heißen Sie?«, fragte Servaz.
    »Etcheverry, Gratien.«
    »Das Leben da oben muss ziemlich hart sein, oder?«, sagte Servaz. »Die Gefahren, die Abgeschiedenheit, die beengten Verhältnisse – das erzeugt doch bestimmt Spannungen.«
    »Die Männer, die da hochgeschickt werden, sind robust, Commissaire. Der Direktor hat es Ihnen doch bestimmt gesagt. Sonst bleiben sie unten.«
    »Commandant, nicht Commissaire. Aber bei schlechtem Wetter, bei Sturm, wenn man nicht rauskann, verliert der eine oder andere doch schon mal die Nerven, oder?«, bohrte er nach. »Ich habe gehört, in dieser Höhe schläft man schlecht.«
    »Das stimmt.«
    »Wie sieht das genau aus?«
    »Am ersten Abend ist man wegen der Höhe und der Maloche dermaßen platt, dass man wie ein Stein schläft. Aber dann schläft man immer weniger. In den letzten Nächten sind es höchstens noch zwei, drei Stunden. Das ist das Hochgebirge. Man holt den Schlaf dann am Wochenende nach.«
    Servaz sah sie erneut an. Mehrere nickten zustimmend.
    Er musterte diese harten Männer – diese Typen, die nicht studiert hatten und die sich nicht für große Leuchten hielten, die auch nicht auf das schnelle Geld aus waren und die ohne viel Aufhebens eine anstrengende Arbeit erledigten, die im Interesse aller war. Diese Männer waren ungefähr so alt wie er – zwischen vierzig und fünfzig, der jüngste war um die dreißig. Er schämte sich plötzlich für das, was er hier tat. Dann begegnete er ein weiteres Mal dem ausweichenden Blick des Kochs.
    »Kam Ihnen dieses Pferd bekannt vor? Hatten Sie es schon mal gesehen?«
    Sie starrten ihn verwundert an – dann schüttelten sie langsam den Kopf.
    »Sind dort oben schon mal Unfälle passiert?«
    »Mehrere«, antwortete Etcheverry, »der letzte vor zwei Jahren. Ein Mann hat eine Hand verloren.«
    »Was macht er heute?«
    »Er arbeitet unten, in der Verwaltung.«
    »Wie heißt er?«
    Etcheverry zögerte. Er lief rot an. Verlegen sah er die anderen an.
    »Schaab.«
    Servaz nahm sich vor, Erkundigungen über diesen Schaab einzuholen:
Ein Pferd verliert seinen Kopf/ein Arbeiter verliert eine Hand
 …
    »Tödliche Unfälle?«
    Etcheverry winkte wieder ab.
    Servaz wandte sich an den Ältesten. Ein stämmiger Typ, dessen kurzärmeliges T-Shirt seine muskulösen Arme betonte. Neben dem Koch war er der Einzige, der noch nichts gesagt hatte – und der Einzige, der Servaz’ Blick nicht ausgewichen war. Seine blassen Augen funkelten ständig herausfordernd. Er hatte ein flaches, grobes Gesicht, einen kalten Blick. Ein engstirniger, stumpfer Mensch, der keine Zweifel kennt, sagte sich Servaz.
    »Sind Sie

Weitere Kostenlose Bücher