Schwarzer Schmetterling
eingeführt hatte, schaltete Hirtmann, der sich einen isolierenden Gummihandschuh über die Hand gestreift hatte, den Apparat an. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten, da der Champagner offensichtlich den Strom hervorragend leitete. Und Hirtmann hätte wohl am Anblick dieser beiden von unkontrollierbaren Zuckungen geschüttelten Körper, denen sich sämtliche Haare sträubten wie Eisenfeilspäne auf einem Magneten, seine hellste Freude gehabt, hätte nicht in diesem Moment die »Verkettung von Umständen« begonnen, von der Ziegler gesprochen hatte.
Da der Schutzschalter defekt war, hätte auch das Abschalten der Maschine die beiden Geliebten nicht vor einem tödlichen elektrischen Schlag bewahren können. Allerdings hatte die Überspannung eine Folge, die Hirtmann nicht vorhergesehen hatte: Sie löste die Alarmanlage des Hauses aus. Als sich Hirtmann wieder in der Gewalt hatte, stand die eifrige schweizerische Polizei, die durch das laute Heulen der Sirene und durch die Nachbarschaft alarmiert worden war, bereits vor seiner Tür.
Dennoch hatte der Staatsanwalt seine Beherrschung nicht völlig verloren. So, wie er es für etwas später am Abend ohnehin vorgehabt hatte, hatte er seinen Namen und seine berufliche Stellung als Staatsanwalt angegeben und, völlig niedergeschmettert und verwirrt, erklärt, dass sich im Keller gerade ein tragischer Unfall ereignet habe. Verlegen und tief erschüttert, bat er die Polizisten dann, ihm in den Keller zu folgen. Da ereignete sich der zweite unvorhergesehene »Umstand«: Um die Sirene abzuschalten – und den Anschein zu erwecken, dem Liebespärchen Hilfe leisten zu wollen –, musste Hirtmann die Stromzufuhr vorzeitig unterbrechen; der Gendarm Christian Gardner von der Genfer Kantonspolizei sagte aus, eines der Opfer sei noch am Leben gewesen, als sein Kollege und er den düsteren Keller betraten. Hirtmanns Frau, Alexia. Im Licht der Stablampen kam sie plötzlich wieder zu sich, und ehe sie endgültig zusammenbrach, konnte sie noch mit schreckensverzerrter Miene auf ihren Mörder zeigen. Da zogen die beiden Gendarmen ihre Waffen und legten dem Hünen trotz seines Protests und seiner Drohungen Handschellen an. Dann führten sie zwei Telefonate: eines mit dem Rettungsdienst und eines mit der Genfer Mordkommission. Eine Viertelstunde später traf die Verstärkung ein, die den Tatort systematisch absuchte und sehr schnell unter einem Möbelstück die – geladene und entsicherte – Automatikpistole fand. Hirtmann wurde abgeführt, und ein Team vom Erkennungsdienst wurde angefordert. Die Analyse der Speisereste ergab, dass der mordlüsterne Staatsanwalt seine Opfer auch unter Drogen gesetzt hatte.
Dokumente und Zeitungsausschnitte, die etwas später in Hirtmanns Büro gefunden wurden, stellten die Verbindung zwischen ihm und etwa zwanzig jungen Frauen her, die im Verlauf der letzten fünfzehn Jahre spurlos verschwunden waren. Plötzlich nahm dieser Fall eine völlig neue Dimension an: Was zuerst nach einem Eifersuchtsdrama aussah, wurde zu einer Serienmörder-Story. Als ein Safe in einer Bank geöffnet wurde, kamen mehrere Aktenordner mit Zeitungsausschnitten zum Vorschein; darin ging es um weitere vermisste Personen in fünf europäischen Regionen: den französischen Alpen, den Dolomiten, Bayern, Österreich und der Schweiz. Insgesamt etwa vierzig Fälle, verteilt über fünfundzwanzig Jahre. Keiner dieser Vermisstenfälle war je aufgeklärt worden. Selbstverständlich behauptete Hirtmann, er habe sich aus rein beruflichen Gründen für diese Fälle interessiert, und er bewies sogar einen gewissen Humor, als er erklärte, all diese jungen Frauen seien nach seiner Vermutung Opfer ein und desselben Täters. Trotzdem wurden diese länger zurückliegenden Fälle juristisch von der aktuellen Mordsache abgetrennt – von der sie sich sowohl durch das Motiv als auch durch die Natur des Verbrechens unterschieden.
Bei der Verhandlung enthüllte Hirtmann dann sein wahres Gesicht. Er versuchte nicht etwa, seine Neigungen zu bagatellisieren, sondern stellte sie geradezu selbstgefällig zur Schau. Im Verlauf des Prozesses kam es zu einer Reihe aufsehenerregender Skandale, da mehrere Mitglieder des Gerichts und der feinen Genfer Gesellschaft an seinen Partys teilgenommen hatten. Hirtmann gab mit dem größten Vergnügen ihre Namen preis und ruinierte dadurch den Ruf sehr vieler Personen. Die Affäre wuchs sich zu einem beispiellosen Politkrimi aus, in dem Sex, Drogen, Geld,
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