Schwarzer Schmetterling
Er war intelligent, selbstbeherrscht, und die lange Serie seiner Morde konnte ihm nie nachgewiesen werden.
2 . Er hatte eine hohe soziale Stellung inne – was für einen Serientäter selten, aber nicht völlig ungewöhnlich ist –, denn als er festgenommen wurde, arbeitete er als Staatsanwalt in Genf.
3 . Seine Festnahme – dank einer »unglücklichen Verkettung von Umständen«, wie sich Ziegler ausgedrückt hatte – und sein Prozess hatten politische und strafrechtliche Verwicklungen ausgelöst, die in der schweizerischen Justizgeschichte beispiellos waren.
Die angesprochene Verkettung von Umständen war eine unglaubliche Geschichte, die, wenn sie nicht vor allem tragisch und unglaublich niederträchtig gewesen wäre, geradezu komisch angemutet hätte. Am Abend des 21 . Juni 2004 , als über dem Genfer See gerade ein heftiges Gewitter tobte, hatte Julian Hirtmann in einer Geste überwältigender Hochherzigkeit den Geliebten seiner Frau in seine Villa am Ufer des Sees zum Abendessen eingeladen. Das Motiv dieser Einladung war der Wunsch, »die Situation zu klären und unter Gentlemen den Abschied von Alexia zu organisieren«.
Tatsächlich hatte ihm seine hinreißende Gemahlin eröffnet, sie wolle ihn verlassen, um mit ihrem Geliebten zusammenzuleben, der Richter am Genfer Gericht war. Am Ende des Abendessens, in dessen Verlauf sie Mahlers wunderbare
Kindertotenlieder
gehört und über die Modalitäten der Scheidung gesprochen hatten (Servaz blieb, verblüfft, einen Moment an dieser Information hängen und fragte sich, welcher gewissenhafte Ermittler sie wohl notiert hatte, denn die
Kindertotenlieder
waren eines seiner Lieblingswerke), hatte Hirtmann eine Waffe gezogen und das Paar gezwungen, in den Keller zu gehen. Hirtmann und seine Frau hatten diesen in eine »Sadomaso-Lusthöhle« verwandelt und veranstalteten dort Sexorgien, an denen Freunde aus der guten Genfer Gesellschaft teilnahmen. Tatsächlich genoss es Hirtmann, dabei zuzusehen, wie seine wunderschöne Frau von mehreren Männern genommen und geschlagen, allen möglichen raffinierten Folterqualen unterworfen, gefesselt, in Ketten gelegt, gepeitscht und an seltsame Apparate angeschlossen wurde, die in Spezialgeschäften in Deutschland und den Niederlanden verkauft wurden. Trotzdem raste er vor Eifersucht, als er erfuhr, dass sie ihn wegen eines anderen Mannes verlassen wollte. Erschwerend kam hinzu, dass er den Geliebten seiner Frau für einen ausgemachten Langweiler und Dummkopf hielt.
Einer der zahlreichen Artikel, die Servaz gelesen hatte, enthielt ein Foto, auf dem Hirtmann mit seinem späteren Opfer im Genfer Gerichtsgebäude posierte.
Neben dem hochgewachsenen, schlanken Staatsanwalt wirkte der Mann klein. Auf dem Foto schätzte Servaz ihn auf etwa vierzig. Der Riese hatte dem Kollegen und Geliebten seiner Frau freundschaftlich eine Hand auf die Schulter gelegt, und er starrte ihn an wie ein Tiger seine Beute. Rückblickend fragte sich Servaz, ob Hirtmann damals schon plante, ihn umzubringen. Unter dem Bild stand:
Staatsanwalt Hirtmann und sein späteres Opfer, Richter Adalbert Berger, in Robe, im Vestibül des Gerichts.
An diesem Abend des 21 . Juni hatte Hirtmann den Liebhaber und seine Frau genötigt, sich auszuziehen, auf ein Bett zu legen und anschließend so viel Champagner zu trinken, bis sie beide betrunken waren. Anschließend hatte er den Liebhaber gezwungen, eine große Champagnerflasche auf den Körper seiner Frau zu leeren, die zitternd auf dem Bett lag, während er den Körper ihres Liebhabers mit Champagner begoss. Nach diesen Trankopfern hatte er dem Liebhaber eines der Spielzeuge hingehalten, die an solchen Orten herumlagen: Es glich einer großen elektrischen Bohrmaschine, deren Bohrer durch einen Godemiché ersetzt worden war. So bizarr solche Werkzeuge den gewöhnlichen Sterblichen erscheinen mögen, sind sie in Spezialgeschäften doch nicht selten zu finden, und die Gäste der Partys am Seeufer machten hin und wieder Gebrauch davon. Am Nachmittag hatte Hirtmann das Instrument sorgfältig hergerichtet, so dass die blankgelegten Leitungsdrähte im Fall einer näheren Untersuchung einem misstrauischen Fachmann als ein rein zufälliger Defekt erscheinen müssten. Außerdem hatte er den einwandfrei funktionierenden Schutzschalter der Verteilertafel durch einen jener wirkungslosen, gefälschten Schutzschalter vom Schwarzmarkt ersetzt. Als der Liebhaber den triefenden Gegenstand in das Geschlecht seiner Geliebten
Weitere Kostenlose Bücher