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Schwarzer Schmetterling

Schwarzer Schmetterling

Titel: Schwarzer Schmetterling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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Stäbchen ihres Radioweckers leuchteten im Halbdunkel: 0 : 25  Uhr. Nichts rührte sich. Sie wusste, dass auf dem Stockwerk ein oder zwei Aufseher wach waren, aber sie sahen vermutlich fern, schlaff in ihren Sesseln hängend, am anderen Ende des Gebäudes.
    In diesem Teil der Klinik herrschten Stille und Schlaf.
    Aber nicht für alle …
    Sie ging zur Tür ihres Zimmers. Weil unter der Tür ein Spalt von einigen Millimetern klaffte, hatte sie das Licht ausgeschaltet. Ein eisiger Windzug strich über ihre nackten Füße, und sie begann sofort zu frösteln. Von der Kälte, aber auch wegen des Adrenalins, das in ihren Adern floss.
Etwas hatte ihre Neugierde geweckt.
    Halb eins …
    Das Geräusch war so leise, dass sie es beinahe nicht gehört hätte.
    Wie in der Nacht zuvor. Wie in den anderen Nächten.
    Eine Tür, die geöffnet wurde.
Sehr langsam.
Dann nichts mehr. Jemand, der nicht wollte, dass man ihn bemerkte.
    Wieder Schweigen.
    Die Person lauschte – wie sie selbst.
    Das Klicken eines Schalters, dann ein Lichtstrahl unter ihrer Tür. Schritte auf dem Gang. So gedämpft, dass sie fast von ihrem Herzklopfen übertönt wurden. Ein Schatten verhüllte für einen Moment das Licht, das unter der Tür durchschien. Sie zögerte. Dann entschloss sie sich unvermittelt und riss die Tür auf. Zu spät. Der Schatten war verschwunden.
    Es kehrte wieder Stille ein, das Licht ging aus.
    Im Dunkeln setzte sie sich an den Bettrand, sie fröstelte in ihrem Winterpyjama und ihrem Morgenrock mit Kapuze. Einmal mehr fragte sie sich, wer wohl jede Nacht durch das Institut schlich. Und vor allem, wozu? Ganz offensichtlich wollte die Person dabei unbemerkt bleiben – denn sie gab sich größte Mühe, keine Geräusche zu machen.
    In der ersten Nacht hatte sich Diane gesagt, dass es wohl einer der Pflegehelfer war oder eine Krankenschwester, die einen kleinen Heißhunger hatte und nicht wollte, dass irgendjemand Wind davon bekam, dass er oder sie sich den Wanst vollschlug. Aber die Schlaflosigkeit hatte sie wach gehalten, und das Licht im Flur war erst zwei Stunden später erneut angegangen. In der zweiten Nacht war sie übermüdet eingeschlafen. Aber in der letzten Nacht das Gleiche noch einmal: Wieder lag sie schlaflos, und wieder war da das kaum hörbare Quietschen der Tür, das Licht im Flur und der Schatten, der verstohlen zur Treppe glitt.
    Doch die Müdigkeit hatte gesiegt, und sie war trotzdem vor seiner Rückkehr eingeschlafen. Sie schlüpfte unter das Federbett und betrachtete ihr eiskaltes, zwölf Quadratmeter großes Zimmer mit Waschraum und WC vor dem blassen Hintergrund des rechteckigen Fensters.
Sie musste schlafen.
Morgen, Sonntag, hatte sie frei. Sie würde die Zeit nutzen, um ihre Aufzeichnungen zu überarbeiten, anschließend würde sie nach Saint-Martin hinunterfahren. Doch Montag wäre ein entscheidender Tag, wie ihr Dr. Xavier mitgeteilt hatte: Montag würde er ihr die Station A zeigen …
    Sie musste schlafen.
    Vier Tage. Sie hatte vier Tage in der Klinik verbracht, und es schien ihr, als hätten sich ihre Sinne in dieser Zeit geschärft. Konnte man sich so schnell verändern? Wenn ja, wer wäre sie dann in einem Jahr – wenn sie das Institut verließ, um in die Schweiz zurückzukehren? Sie schimpfte mit sich selbst. Sie sollte aufhören, daran zu denken. Sie würde viele Monate hier verbringen.
    Sie verstand immer noch nicht, wie man diese geistesgestörten Schwerstkriminellen an einem Ort wie diesem einsperren konnte. Diese Klinik war bei weitem der unheimlichste und ungewöhnlichste Ort, den sie kannte.
    Aber sie ist jetzt für ein Jahr dein Zuhause, meine Liebe.
    Bei diesem Gedanken verflog ihr jegliche Lust zu schlafen.
    Sie setzte sich ans Kopfende des Betts und machte die Nachttischlampe an. Anschließend schaltete sie ihren Computer an und wartete, bis er hochgefahren war, um ihren elektronischen Briefkasten zu konsultieren. Das Institut hatte zum Glück Internetanschluss und war mit W LAN -Zugängen ausgestattet.
     
    [Keine neuen Mails.]
     
    Sie hatte gemischte Gefühle. Hatte sie wirklich erwartet, dass er ihr schrieb? Nach allem, was passiert war? Sie selbst hatte Schluss gemacht, auch wenn diese Entscheidung sie innerlich zerrissen hatte. Er hatte sie mit seinem üblichen Stoizismus hingenommen, und das hatte sie gekränkt. Sie hatte sich selbst darüber gewundert, wie verzweifelt sie war.
    Sie zögerte, ehe sie auf der Tastatur klimperte.
    Sie wusste, dass er ihr Schweigen nicht verstehen

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