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Schwarzer Schmetterling

Schwarzer Schmetterling

Titel: Schwarzer Schmetterling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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Bildschirm seines PC s durchlöchert wurde. Servaz hatte wieder sein Notizbuch herausgeholt und machte sich Notizen. Er hatte schon einige Seiten vollgeschrieben. Während der Klang der Violinen vom Wohnzimmer aufstieg, vertiefte er sich erneut in den Lebensweg des Serienmörders. Der schweizerische Richter hatte eine psychiatrische Begutachtung in Auftrag gegeben, um seine strafrechtliche Verantwortlichkeit festzustellen, und die Gutachter waren nach intensiven Gesprächen mit dem Täter zu dem Schluss gelangt, dass er »vollkommen schuldunfähig« sei; sie stützten sich auf die Wahnanfälle, die Halluzinationen, den intensiven Drogenkonsum, der sein Urteilsvermögen beeinträchtigt und seine Schizophrenie verstärkt habe, und auf den völligen Mangel an Empathie – dieser letzte Punkt war sogar für Servaz nicht zu bestreiten. Laut Gutachten hatte der Täter »weder die psychischen Fähigkeiten, um seine Handlungen zu kontrollieren, noch die Befähigung zur freien Willensbestimmung«.
    Nach den Informationen zu urteilen, die Servaz auf einigen schweizerischen Websites über forensische Psychiatrie fand, sehnten sich die bestellten Gutachter nach einer wissenschaftlichen Methode zurück, die der persönlichen Interpretation wenig Spielraum ließ: Sie hatten Hirtmann einer Reihe von Standardtests unterzogen, wobei sie sich auf das DSM - IV bezogen, das
Diagnostische und Statistische Handbuch psychischer Störungen,
und Servaz fragte sich, ob Hirtmann, als er die Tests absolvierte, dieses Handbuch nicht mindestens genauso gut kannte wie sie.
    Angesichts der Gefährlichkeit des Täters hatten sie sich für eine Sicherheitsverwahrung und die »zeitlich unbefristete« Unterbringung in einer speziellen Einrichtung ausgesprochen. Bevor er ins Institut Wargnier überstellt wurde, war Hirtmann in zwei psychiatrischen Kliniken in der Schweiz untergebracht gewesen. Er war nicht der einzige Insasse der Station A, der aus dem Ausland stammte, denn diese Anstalt, die einzige Einrichtung ihrer Art in Europa, stellte den ersten Versuch der psychiatrischen Behandlung von Sicherungsverwahrten im Rahmen eines zukünftig einheitlichen europäischen Rechtsraums dar. Servaz runzelte die Stirn, als er diese Worte las: Was sollte das heißen, wo doch die europäischen Justizsysteme im Hinblick auf Gesetze, die Dauer der Strafen und das Budget (das französische Budget für die Rechtspflege war je Einwohner nur halb so hoch wie das deutsche, das niederländische oder auch das britische) sehr große Unterschiede aufwiesen?
    Während er aufstand, um sich aus dem Kühlschrank ein Bier zu holen, dachte er über den offensichtlichen Widerspruch nach: einerseits die gesellschaftlich integrierte, beruflich anerkannte Persönlichkeit Hirtmanns, wie sie in der Presse beschrieben wird, und andererseits die undurchsichtige, von unkontrollierbaren Mordphantasien und einer pathologischen Eifersucht heimgesuchte Persönlichkeit, die die Gutachter zeichneten. Dr. Jekyll und Mr. Hyde? Oder hatte es Hirtmann geschafft, dem Gefängnis zu entgehen, weil er ein geborener Manipulator war? Servaz neigte der zweiten Hypothese zu. Er war überzeugt davon, dass Hirtmann von Anfang an ganz genau wusste, wie er sich bei der psychiatrischen Begutachtung verhalten und was er zu den Experten sagen musste. Hieß das, dass auch sie sich auf einen beispiellosen Schauspieler und Manipulator einstellen mussten? Wie sollten sie ihm auf die Schliche kommen? Wäre der von der Gendarmerie entsandte Psychologe dazu in der Lage, wo sich drei schweizerische Gutachter hatten übers Ohr hauen lassen?
    Anschließend fragte sich Servaz, welche Verbindung zwischen Hirtmann und Lombard bestehen konnte. Der einzige offensichtliche Zusammenhang war die Geographie. Hatte sich Hirtmann das Pferd zufällig als Opfer ausgesucht? War er auf die Idee gekommen, als er an dem Reitzentrum vorbeigefahren war? Das Gestüt lag abseits der großen Verkehrswege im Tal. Hirtmann hatte keinen Anlass, sich dort aufzuhalten. Und wenn er das Pferd getötet hatte, weshalb hatten die Hunde dann seine Anwesenheit nicht bemerkt? Und warum hatte er die Gelegenheit nicht zur Flucht genutzt? Wie hatte er die Sicherheitssysteme des Instituts überlistet? Jede Frage zog eine weitere nach sich.
    Plötzlich dachte Servaz an etwas anderes:
Seine Tochter hatte Ringe unter den Augen und einen traurigen Blick.
Warum? Warum wirkte sie so traurig und erschöpft? Sie war um ein Uhr nachts ans Telefon gegangen. Von wem

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