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Schwarzer Schmetterling

Schwarzer Schmetterling

Titel: Schwarzer Schmetterling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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sehr hoch am Hals, direkt unterhalb des Unterkiefers, und steigt zum Aufhängepunkt hin an. Außerdem ist sie unvollständig, was nicht der Fall wäre, wenn das Opfer zuvor mit einer Schnur erdrosselt worden wäre, die eine eher flache und regelmäßige, um den gesamten Hals verlaufende Furche hinterlässt.«
    Er blinzelte Espérandieu zu.
    »Sie kennen diese Fälle: Wenn der Mann seine Frau mit einem Strick erdrosselt und uns anschließend glauben machen will, dass sie sich erhängt hat.«
    »Sie lesen zu viele Krimis, Doktor«, antwortete Espérandieu.
    Delmas unterdrückte ein leises Lächeln – und wurde dann wieder genauso ernst wie ein Papst bei der Segnung. Er verstellte die Lampe, so dass ihr Lichtkegel auf die halb abgerissene Nase, das geschwollene Gesicht und die angetackerten Lider fiel.
    »Das ist wirklich eine der abscheulichsten Sachen, die ich je gesehen habe«, sagte er. »Das Werk einer bestialischen Wut.«
     
    Der Psychologe hatte sich zu ihnen gesellt. Er saß auf dem Rücksitz, neben dem Richter. Irène Ziegler steuerte den Geländewagen mit der Flüssigkeit und Sicherheit eines Rallyefahrers. Servaz bewunderte ihren Fahrstil. So wie er ihr Können im Hubschrauber bewundert hatte. Auf dem Rücksitz hatte der Richter Propp gebeten, ihm von Hirtmann zu erzählen. Was ihm der Psychologe gesagt hatte, hatte ihn tief betroffen gemacht, und jetzt schwieg er ebenso wie seine Nachbarn. Der morbide Charakter des Tals verstärkte noch das Unbehagen.
    Die Straße wand sich unter dem düsteren Himmel zwischen dichtstehenden hohen Tannen, die weiß bestäubt waren. Die Straße war geräumt worden: Der Schneepflug hatte am Rand der Straße hohe Schneewälle aufgetürmt. Sie kamen an einem letzten Bauernhof vorbei, der fest in der Hand der Kälte war – die Zäune um die Felder verschwanden schier unter dem Schneemantel, eine dünne Rauchfahne stieg aus dem Kamin auf –, dann herrschten endgültig Schweigen und Winter.
    Es hatte aufgehört zu schneien, aber die Schneedecke war sehr dick. Ein Stück weiter überholten sie den Schneepflug, dessen blinkende Signallampe einen leuchtend orangefarbenen Lichtschein auf die weißen Tannen warf, und die Weiterfahrt wurde beschwerlich.
    Sie fuhren jetzt durch eine versteinerte Landschaft aus undurchdringlichen, hohen Tannengehölzen und gefrorenen Torfmooren innerhalb der Flusswindungen. Über ihnen erhoben sich, gewaltig und grau, die bewaldeten Hänge der Berge. Dann verengte sich das Tal noch stärker. Der Wald überragte die Straße, die ihrerseits den Sturzbach überragte, und bei jeder Kurve sahen sie die mächtigen Wurzeln der Buchen, die durch die Unterspülung der Böschungen freigelegt worden waren. Hinter einer Wegbiegung entdeckten sie mehrere Gebäude aus Beton und Holz. Mit Fensterreihen auf den Stockwerken und großen Fensterfronten im Erdgeschoss. Ein Pfad überquerte den Wildbach auf einer rostigen Brücke und führte dann durch eine weiße Wiese zu ihnen. Servaz sah im Vorüberfahren ein rostiges Schild: » COLONIE DE VACANCES DES ISARDS «. Die Gebäude wirkten verfallen. Sie waren unbewohnt.
    Er fragte sich, wer wohl auf die Idee gekommen war, an einem so düsteren Ort eine Ferienkolonie anzulegen. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken, als er an die Umgebung der Klinik dachte. So heruntergekommen, wie die Gebäude wirkten, war es allerdings wahrscheinlich, dass die Kolonie bereits lange geschlossen hatte, bevor das Institut Wargnier seine Pforten öffnete.
    Dieses Tal war von einer umwerfenden Schönheit, die Servaz erstarren ließ.
    Eine märchenhafte Atmosphäre.
    Genau das war es: eine moderne Erwachsenenversion der unheimlichen Märchen seiner Kindheit. Denn tief in diesem Tal, dachte er schaudernd, irgendwo in diesem weißen Wald erwarteten sie tatsächlich Menschenfresser.
     
    »Guten Tag, darf ich mich setzen?«
    Sie hob den Kopf und erblickte den Pfleger, der ihr am Vortag eine Abfuhr erteilt hatte – wie hieß er noch gleich? Alex –, der vor ihrem Tisch stand. Diesmal war die Cafeteria gerammelt voll. Es war Montagmorgen, und das ganze Personal war da. Stimmengewirr erfüllte den Raum.
    »Klar«, antwortete sie mit zusammengebissenen Zähnen.
    Sie saß allein an ihrem Tisch. Ganz offensichtlich hatte niemand den Kontakt zu ihr gesucht. Hin und wieder schnappte sie Blicke in ihre Richtung auf. Wieder fragte sie sich, was Dr. Xavier wohl über sie gesagt hatte.
    »Hm … Ich wollte mich für gestern entschuldigen …«,

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