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Schwarzer Schmetterling

Schwarzer Schmetterling

Titel: Schwarzer Schmetterling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Minier
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Es war eine unglaublich abgeschiedene und unberührte Gegend, aber zugleich von einer Schönheit, die Servaz verstummen ließ. Die gleiche Monumentalarchitektur wie beim Kraftwerk. Er fragte sich, wozu diese Gebäude wohl gedient hatten, bevor das Institut Wargnier darin untergebracht wurde. Denn sie stammten unverkennbar aus der gleichen ruhmreichen Zeit wie das Kraftwerk und das unterirdische Wasserkraftwerk: ein Zeitalter, in dem man Mauern und Dachstühle für Jahrhunderte baute. In dem man sich weniger für die kurzfristige Rendite als für die solide ausgeführte Arbeit interessierte. In dem man ein Unternehmen weniger nach seinen finanziellen Erfolgen als nach der Größe seiner Bauwerke beurteilte.
    »Es fällt mir immer schwerer zu glauben, dass jemand, dem es gelungen ist, von hier zu fliehen, freiwillig zurückkehren würde«, fügte der Psychologe hinzu.
    Servaz wandte sich zu ihm um. Er hatte gerade dasselbe gedacht. Dann suchte er Confiant und erspähte ihn einige Meter entfernt, das Handy am Ohr. Servaz fragte sich, wen Confiant wohl in einem solchen Moment anrufen mochte.
    Der junge Richter klappte sein Handy zu und ging auf sie zu.
    »Fahren wir!«, sagte er.
    Einen Kilometer und noch einen Tunnel weiter, fuhren sie von der Talstraße in eine noch schmalere Seitenstraße hinein, die den Wildbach überquerte, ehe sie sich zwischen den Tannen emporwand. Unter der dicken Schneeschicht war die Fahrbahn kaum von den Schneeverwehungen am Straßenrand zu unterscheiden, doch mehrere Fahrzeuge hatten bereits ihre Spuren hinterlassen. Servaz zählte bis zehn, dann hörte er auf zu zählen. Er fragte sich, ob dieser Weg vielleicht doch nicht zum Institut führte, und er erhielt die Antwort zwei Kilometer weiter, als sie vor den Gebäuden vorfuhren: Die Straße hörte hier auf.
    Sie schlugen ihre Türen zu, und es herrschte wieder völlige Stille. Wie von ehrfürchtiger Angst ergriffen, sahen sie sich schweigend um. Es war sehr kalt, und Servaz vergrub den Hals im Kragen seiner Jacke.
    Die Klinik stand an der Stelle des Hangs mit dem geringsten Gefälle und dominierte den oberen Bereich des Tals. Ihre kleinen Fenster zeigten frontal zum Berg und zu seinen riesigen bewaldeten Abhängen, die von schwindelerregenden Klippen aus Felsen und Schnee gekrönt wurden.
    Dann erblickte er, etliche hundert Meter entfernt, am Berghang Gendarmen im Wintermantel, die in Walkie-Talkies sprachen, während sie sie zugleich mit Feldstechern beobachteten.
    Ein kleiner Mann im weißen Kittel trat plötzlich aus dem Klinikgebäude und ging auf sie zu. Der Polizist sah seine Nachbarn erstaunt an. Confiant machte eine entschuldigende Geste.
    »Ich habe Dr. Xavier unser Kommen angekündigt«, sagte der Ermittlungsrichter. »Wir sind befreundet.«

14
    D r. Xavier schien sich sehr über Besuch zu freuen. Er überquerte den verschneiten kleinen Platz mit ausgebreiteten Armen.
    »Sie kommen recht ungelegen. Wir waren gerade mitten in einer Arbeitssitzung. Jeden Montag versammele ich die Therapiegruppen aller Stationen: Ärzte, Pflegekräfte, Pflegehelfer, Sozialarbeiter.«
    Aber sein breites Lächeln schien darauf hinzudeuten, dass er nicht böse war, eine dieser langweiligen Sitzungen abbrechen zu müssen. Die Hand des Richters drückte er besonders herzlich.
    »Es brauchte wohl diese Tragödie, damit du uns endlich einmal besuchst.«
    Dr. Xavier war ein kleiner, noch junger Mann, der wie aus dem Ei gepellt war. Servaz bemerkte unter dem Kragen seines Kittels eine modische Krawatte. Er lächelte unentwegt und blickte die beiden Ermittler zugleich wohlwollend und witzig funkelnd an. Servaz war sofort auf der Hut: Er misstraute instinktiv eleganten Personen, die allzu bereitwillig lächelten.
    Er sah zu den hohen Mauern auf. Die Klinik bestand aus zwei großen vierstöckigen Gebäuden, die T-förmig miteinander verbunden waren – ein T allerdings, dessen horizontaler Strich dreimal so lang war wie der vertikale. Er betrachtete die Reihen kleiner Fenster in den dicken Mauern, deren grauer Stein einem Angriff mit einer Panzerfaust bestimmt standgehalten hätte. Eines war sicher: Es bestand keine Gefahr, dass die Insassen sich hier durchgraben und fliehen könnten.
    »Wir sind hier, um uns ein Bild davon zu machen, ob einer deiner Insassen hätte ausbrechen können«, sagte Confiant zu dem Psychiater.
    »Das ist völlig unmöglich«, antwortete Xavier spornstreichs. »Im Übrigen fehlt auch niemand.«
    »Das wissen wir.«
    »Ich verstehe

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