Schwarzer Schwan
Sinn. Wie weit muss man graben, um auf der anderen Seite der Wand ins Freie zu gelangen? Hat es das andere Mädchen etwa geschafft?
Etwas im Blick des Dreckschweins sagt mir, dass die andere tot ist. Und dass dies alles auch für mich mit dem Tod enden wird.
Mein Mund ist trocken. Der Kerl hält mir eine Wasserflasche hin. Ich trinke, so viel ich nur kann. Wer weiß, wann es wieder etwas gibt.
Ich stelle mir vor, ihm die Kette um den Hals zu schlingen. Mit ganzer Kraft daran zu zerren. Bis das Schwein blau anläuft, zappelt und schließlich stillhält. Ich nehme ihm den Schlüssel ab und befreie mich. Irgendwo im Haus entdecke ich Kleidung und ein Telefon. Ich rufe Mama und die Polizei und …
Der Dreckskerl sagt, er sei enttäuscht von mir. Er meint, es könnte so schön mit uns beiden sein, wenn ich endlich gehorche. Er sei mein einziger Freund. Irgendwann würde ich das begreifen.
Das Schwein setzt sich zu mir auf die Pritsche.
Jetzt!
Mit einer blitzschnellen Bewegung schlinge ich die Kette um seinen Hals und hänge mein ganzes Gewicht daran. Der Kerl kneift die Schweineaugen zusammen und ist plötzlich ganz stumm. Ich habe ihn überrumpelt!
Seine Faust trifft mich hart. Mein Kopf knallt gegen die Wand. Ich reiße die Arme vors Gesicht. Die Schläge hält das nicht auf. Ein Trommelfeuer. Ich sehe Doppelbilder und huste Blut. Ich rolle mich ganz klein zusammen.
Aufhören!
Statt zu schreien, kann ich nur noch ganz leise ›bitte‹ sagen.
67.
»Wer absichtlich oder wissentlich, ganz oder teilweise, vereitelt, dass ein anderer …«
»Hör auf, Kurt, ich habe nichts vereitelt!«
Dominik war aufgebracht. Statt zu ermitteln, Patrick Neidels Mörder zu finden und vor allem Leonie zu befreien, musste er sich in endlosen Sitzungen rechtfertigen – die Anhörung durch seinen Dienststellenleiter Kurt Dell würde sicher nicht die einzige bleiben.
»Wonach sieht’s denn sonst aus, Dominik?« Kurt fuhr sich mit einem Taschentuch über die Stirn. Unter den Achseln zeigte sein Hemd dunkle Flecken. »Hattest du die Masern, als an der Fachhochschule das Strafgesetzbuch dran war? Wie konntest du nur so dämlich sein? Strafvereitelung im Amt ist nicht schön, sondern böse, richtig böse. Paragraf 258a: Ist der Täter als Amtsträger zur Mitwirkung bei dem Strafverfahren berufen, so ist …«
»Nenn mich nicht Täter!«
»Und schon der Versuch ist strafbar. Sechs Monate bis fünf Jahre. Ich hab’s nachgeschlagen.«
»Ich habe auch keine Vereitelung versucht. Im Gegenteil. Seit Montag arbeite ich daran, den Kerl zu finden, der Patrick Neidel umgebracht hat.«
»Du hättest melden müssen, dass du an der Observierung der Zeugin beteiligt warst.«
»Am Fortschritt unserer Ermittlungen hätte das nichts geändert.«
»Das KK 11 sieht das anders.«
»Thilo Becker redet gequirlten Mist!«
»Das werden wir ja sehen. Auf jeden Fall bist du jetzt selbst Gegenstand einer Ermittlung. Bravo! Als hätten die Kollegen Ibersberger und Probst nicht schon genug zu tun.« Kurt wedelte sich mit einer Akte Kühlung zu. Fotos fielen heraus, er stopfte sie zurück. »Ich möchte mir gar nicht vorstellen, was passiert, wenn öffentlich wird, was du angestellt hast.«
»Ich habe nichts angestellt, verdammt!«
»Für die Zeitungen ein gefundenes Fressen. Ich sehe schon die Schlagzeilen. Der Minister wird toben. Und du wirst dir wünschen, nicht geboren worden zu sein.«
Das Telefon auf Kurts Tisch klingelte und er griff danach.
»Dell … – Sitzt mir gegenüber. – Ist gut, ich sag’s ihm.«
Kurt legte auf und wedelte wieder mit der Akte, Dominik anstarrend. Jetzt rutschte ein weißer Umschlag zwischen den Deckeln hervor und klatschte auf den Tisch.
»Und?«, fragte Dominik.
»Ein Glück. Ich kann Ibersberger und Probst zurückpfeifen.«
»Also stellt der Staatsanwalt die Ermittlungen gegen mich ein.«
»Nein, im Gegenteil. Er meint, wir seien womöglich befangen, wenn es gegen einen Kollegen der eigenen Dienststelle geht.«
»Das heißt?«
»Keine Ahnung, wen er auf dich ansetzen wird. Vielleicht die Kripo aus Mönchengladbach oder Köln. Ich soll dir übrigens ausrichten, dass Gebhart dich sprechen will. Jetzt gleich.«
Der Albtraum hört nicht auf, dachte Dominik.
Kriminalrat Gebhart leitete die Kriminalinspektion zwei, zu der außer dem KK 21 die Kommissariate für organisierte Kriminalität und Wirtschaftsstraftaten zählten. Gebhart war noch nicht lange auf diesem Posten, Dominik kannte ihn bisher nur vom
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