Schwarzer Schwan
besten auch schnell wieder«, erwiderte Dingendorff.
»Aber den Euro müssen wir retten.«
»Was meinen Sie konkret?«
»Ein Insolvenzrecht für Staaten, das Heranziehen von Gläubigerbanken, falls ein Euroland zahlungsunfähig wird. Wie nennen Sie es, wenn jeder Inhaber von Staatsanleihen auf einen Teil des Werts verzichtet, um den Schuldner zu retten?«
»Haircut.«
»Richtig. Ein ehrlicher Schnitt. Wer an der Verschuldung Griechenlands verdient, muss auch seinen Teil zur Rettung beitragen. Wir können die Probleme der nächsten Jahre nur gemeinsam lösen. Dafür stehe ich in Deutschland und in Europa.«
Die Frau wiederholte sich und klang jetzt fast kleinlaut, wie Frantzen fand. Er freute sich, dass die versteckte, wochenlange Kampagne gegen den Bundespräsidenten von Erfolg gekrönt war. Die Machtdemonstration hatte vor allem der Kanzlerin gegolten. Sie sollte begreifen, dass man sich besser nicht gegen Dingendorff und seine Kreise stellte.
»Schon gut, Frau Bundeskanzlerin«, antwortete der Chefbanker geduldig. »Aber berücksichtigen Sie bitte, dass ein Schuldenerlass allein im Fall von Griechenland die deutschen Banken und Versicherungen rund siebzig Milliarden Euro kosten würde. Die Finanzbranche würde kollabieren und mit ihr die gesamte Wirtschaft.«
»Es geht doch allenfalls um einen Teilerlass. Haircut bedeutet ja nicht, die Geldinstitute kahl zu scheren.«
»Allein die theoretische Option führt zu rapide steigenden Zinsen und beschleunigt die Krise. Und wir reden nicht etwa nur von Griechenland, Portugal und Irland. Die nächsten Kandidaten heißen Spanien, Zypern, Belgien, Italien …«
»Mein Güte«, unterbrach die Kanzlerin. »Bei Ihnen lauert der ›Schwarze Schwan‹ wohl überall?«
»Das Vertrauen kann letztlich nur durch einen wesentlich stärkeren Rettungsfonds der Eurostaaten erhalten werden.«
Frantzen nickte zu den Worten seines Chefs. Warum sollte die RheinBank für Griechenland und andere Pleitekandidaten bezahlen, wenn man die Schulden den Steuerzahlern der Eurozone aufbürden kann?
»So bekomme ich aber die Griechenlandhilfe nicht durch den Bundestag. Teile meiner eigenen Fraktion werden dagegen stimmen, wenn es keine Beteiligung der Banken gibt.«
»Gut, dann versprechen Sie Ihnen eben die Beteiligung.«
»Die Sie gerade noch abgelehnt haben?«
»Eine freiwillige Beteiligung.« Dingendorff lächelte.
»Also eine Seifenblase.«
»Nennen wir es ein Symbol des guten Willens. Und Sie bewahren Ihr Gesicht. Wann steht die nächste Entscheidung über den Rettungsschirm an? Im Oktober? Kündigen Sie harte Verhandlungen mit den führenden Banken in Europa an. Das wird den gewünschten Eindruck machen.«
»Nennen Sie es ›Pakt für Europa‹«, schlug Frantzen vor.
Die Kanzlerin wirkte nicht überzeugt.
»Und dann hätte ich noch diesen Vorschlag.« Dingendorff entnahm seiner Mappe ein dünnes Dossier und reichte es der Kanzlerin.
Sie setzte ihre Brille auf, öffnete den Aktendeckel und las.
Frantzen erkannte, worum es sich handelte, und war verblüfft. Die dreiseitige Präsentation war nur ein erster Entwurf. Seine Mitarbeiter sollten noch daran feilen. Zudem war das Projekt nach Frantzens Einschätzung viel zu gewagt, zu unverschämt. Er staunte über die Chuzpe seines Chefs. Erst lehnte er die finanzpolitischen Pläne der Kanzlerin rundum ab, dann sattelte er mit dem Salzstock in Fürstenroda obendrauf.
Die Kanzlerin blickte den RheinBank-Chef über den Brillenrand hinweg an. »Dieses Bergwerk, das hier erwähnt wird, befindet sich in den neuen Bundesländern?«
»Sachsen-Anhalt.«
»Und wenn ich zustimme …«
»… werde ich all meinen Einfluss für Sie mobilisieren, öffentlich Ihren ökonomischen Sachverstand loben und hinter den Kulissen Ihre Kritiker zum Verstummen bringen. Herr Frantzen wird sich diesbezüglich mit Ihren Leuten kurzschließen. Sie retten den Euro. Wir feiern Sie dafür und leisten einen symbolischen Beitrag. Bereits unsere Chinareise könnte eine hervorragende Plattform sein, um Ihre Wirtschaftskompetenz zu unterstreichen.«
»Der Euro ist nicht mein einziges Problem.«
»Sie erhalten außerdem meine Unterstützung in Ihrem Atomkurs, egal, wie Sie sich letztlich entscheiden werden. Wenn Sie aus China zurück sind und für Ihren Urlaub in Südtirol packen, können Sie Ihre Schlaftabletten getrost weglassen.«
Die Kanzlerin ließ sich nichts anmerken. Sie widmete sich wieder dem Projekt Fürstenroda, fuhr mit dem Finger über die Zeilen
Weitere Kostenlose Bücher