Schwarzer Schwan
Leichensache Patrick Neidel. Die Mädchenentführung hat keiner erwähnt. Sag schon: Ist der gestohlene Golf aus Osnabrück endlich da? Hat Mandy ihn schon beschnuppert?«
Die Kollegin nickte und hob den Daumen. »Volltreffer. Leonie ist mit dem Golf transportiert worden. Auf dem Rücksitz. Mit neunzigprozentiger Wahrscheinlichkeit, sagt der Hundeführer. Wir haben Blutspuren sicherstellen können. Nicht viel, aber genug fürs Labor. Wenn die DNS übereinstimmt, sind wir bei einhundert Prozent.«
»Was sagen die zwei Typen, die in dem Auto saßen?«
»Alles Mögliche, aber nichts über Leonie. An dem Punkt mauern sie. Vielleicht glauben sie, dass wir ihnen die Sache nicht anhängen können. Aber wir kriegen die Burschen weich, keine Bange.«
»Lass mich das mal versuchen. Sind sie hier bei uns im Gewahrsam?«
»Im Moment sind Ela Bachs Leute dran. Sie glauben, unser Tatfahrzeug ist vielleicht auch ihres. Weißt du was, Dominik? Wir haben einen riesigen Fortschritt gemacht und es ist einzig dein Verdienst, dass wir das Auto und die Kerle haben.«
»Sag das mal dem Staatsanwalt.«
Sie musterte ihn. »Steht es wirklich so schlimm?«
»Sechs Monate bis fünf Jahre, behauptet mein Dienststellenleiter.«
Hachmeister pfiff durch die Zähne und sammelte ein paar Ordner ein. »Ich muss zur Sitzung ins KK 11. Aber ich kann dir meine Vernehmungsprotokolle mailen.« Sie tippte etwas in ihren Computer. »So, jetzt müsstest du sie im Eingangsordner haben.«
»Ich würde mir auch gern die ähnlichen Fälle ansehen.«
»Wie gesagt, wirklich ähnlich ist da nichts.« Sie nahm Akten vom Stapel und reichte sie Dominik. »Vielleicht sollten wir uns an Madame Petra wenden.«
»An wen?«
»Das ist eine Wahrsagerin, die uns ihre Dienste angeboten hat. Ein Wünschelrutengänger hat sich auch schon gemeldet. Ja, das Telefon steht nicht still. Und um ein Uhr habe ich ein Meeting mit den Kollegen von der Pressestelle. Die Medien einspannen – unsere einzige Chance, solange die Kerle aus Osnabrück nicht reden. Größer kann der Druck, unter dem wir stehen, sowieso nicht mehr werden.«
Susanne hielt dem Kollegen die Tür auf.
»An die Arbeit«, sagte sie. »Und pack dir wenigstens Eis auf dein Auge.«
68.
Dominik betrat sein Büro und fuhr den Computer hoch. Ihm ging durch den Kopf, dass er im Polizeidienst vermutlich keine große Zukunft mehr hatte.
Wenn man in Schwierigkeiten steckte, wussten die meisten Kollegen damit nicht umzugehen. Statt Mitgefühl zu entwickeln, stempelten sie einen zum schwierigen Fall. Nach Nellys Tod hatte Dominik das schon einmal erlebt – sein Trauma als Zumutung für die anderen.
Vorgesetzte verhielten sich in aller Regel noch rigoroser. Einen Mitarbeiter, der die Staatsanwaltschaft am Hals hatte, nahmen sie nicht in Schutz, sondern ließen ihn umgehend fallen, um die eigene Karriere nicht zu gefährden.
Die Behörde wird Sie nicht hängen lassen – auf den Spruch des Inspektionsleiters gab Dominik keinen Pfifferling. Die Obermuftis würden alles hervorkramen, was gegen ihn verwendet werden konnte. Seinen tödlichen Schuss auf Dennis Raabe, seine Probleme, damit fertig zu werden. Er hatte nicht einmal den Schießtest bestanden. Und jetzt noch sein Versäumnis, den blöden Nebenjob rechtzeitig zu beichten.
Sein Kumpel Jochen hatte sich schwer verrechnet, als er sich einbildete, dass eine Durchsuchung nichts offenbaren könnte. Die Schutzmaßnahmen bei Urban Ermittlungen waren wohl doch nicht gründlich genug. Vermutlich hatte die Durchsuchung auch der Firma erheblich geschadet. Wenn die Auftraggeber nicht mehr mit Diskretion rechnen konnten, war das Renommee im Eimer.
Dominik empfand auch deswegen Schuldgefühle.
Er spürte, wie der Hass auf Thilo Becker in ihm fraß. Der MK-Leiter hatte ihn auf dem Kieker, warum auch immer. Der Mann versaute ihm die Karriere.
Endlich war der PC betriebsbereit. Dominik öffnete das Mailprogramm, lud die jüngsten Nachrichten auf den Rechner und druckte Susi Hachmeisters Anhang aus. Das Vernehmungsprotokoll.
Trübsal und Wut waren wie weggewischt – das Jagdfieber packte Dominik, je länger er las. Er zog eine Straßenkarte zurate. Die Aussagen klangen halbwegs schlüssig.
Aber sie ergaben nicht den Sinn, den er suchte.
Die Maschine brummte. Bereits der vierte Espresso.
Dominiks Blick fiel auf den Kalender. Er riss das Blatt von gestern ab. Der heutige Spruch stammte von Pablo Picasso: Erst finde ich, dann fange ich zu suchen an. Maler müsste man
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