Schwarzer Schwan
zählte auf, was für ein Aufwand bei der Restaurierung des Schlosses betrieben worden war. Stukkateure aus Polen, historische Dachschindeln aus der Toskana, und in der Schlossbibliothek seien sämtliche Werke versammelt, die seit der Erfindung des Buchdrucks zum Thema Finanzwirtschaft verlegt worden waren.
Mierscheid war auf Rotwein umgestiegen. »Wie war das vor zwanzig Jahren?«
»Da roch alles noch nach frischer Farbe. Die Tagungsstätte ist im Jahr der Wiedervereinigung eingeweiht worden.«
»Ich meine den Sparclub.«
»Der ist vor genau zwanzig Jahren gegründet worden.«
»Wer war damals dabei?«
»Keine Ahnung. Ich hatte da gerade meinen Lehrerjob hingeschmissen und ein Zweitstudium in Volkswirtschaft begonnen. Dass ich einmal hier landen würde, habe ich mir nicht träumen lassen.«
»Und Dingendorff?«
»Der war bereits in der Branche, aber noch ein relativ kleines Licht. Und nicht bei der RheinBank.«
»Sondern?«
»Assistent des Landesbankchefs.«
»Der den Sparclub gegründet hat?«
»Richtig. Lothar, da unten kommt gerade einer, den ich dir noch vorstellen muss …«
Mierscheid hielt Frantzen zurück. »Also war Dingendorff beim Gründungstreffen des Sparclubs anwesend?«
»Davon kannst du ausgehen. Warum fragst du?«
Mindestens zweihundert Leute drängten sich in den Rittersaal, auf enger Bestuhlung fast in Tuchfühlung, darunter zahlreiche Spitzenmanager der deutschen Wirtschaft. Mierscheid schwitzte in seinem Anzug. Die Atmosphäre gespannter Erwartung erinnerte ihn an seine Schulzeit, an den Moment der Zeugnisverteilung.
Endlich wurde das Saallicht gedimmt. Über der Bühne flammten Scheinwerfer auf, das allgemeine Gemurmel verstummte. Ein Mann trat vor, um die Begrüßungsworte zu sprechen. Die Mitglieder des Sparclubs applaudierten.
Mierscheid staunte: Bei dem Redner handelte es sich um einen prominenten Fernsehmoderator, der allwöchentlich Talkgäste aufeinanderhetzte und bei den Zuschauern als besonders sachkundig und hartnäckig galt. Er hieß zum runden Jubiläum des Sparclubs willkommen und verlor launige Worte über die lange Anreise, die eine Zusammenkunft in der niederrheinischen Provinz für viele Gäste bedeutete. Dann vermeldete er, dass an diesem Tag das sechshundertzwölfte Mitglied aufgenommen worden sei, dass der Club stetig wachse und trotzdem seiner Maxime treu blieb, ausschließlich wichtige Entscheider zu versammeln, sozusagen die ökonomische, politische und kulturelle Elite der Republik.
Für einen Moment fühlte sich Mierscheid geschmeichelt.
Der Beifall wurde kräftiger, Dingendorff trat ins Rampenlicht.
Mierscheid fiel es schwer, sich auf die Rede des Sparclubhäuptlings zu konzentrieren. Er empfand tiefen Neid auf diesen Mann. Auf sein Charisma und die unverschämt schlanke Figur des etwa Gleichaltrigen. Sogar auf die volle, verwegen lange Mähne, die unter den Scheinwerfern leuchtete und zu Dingendorffs Aura beitrug. Aber vor allem war Mierscheid neidisch wegen einer Toten.
Paula Busch und der RheinBank-Chef – zweifellos handelte es sich bei Paulas letztem Liebhaber um Dingendorff.
Mierscheid rief sich in Erinnerung, dass sie den Mann letztlich in die Wüste geschickt hatte. Dass Macht und Reichtum bei ihr keine Trümpfe gewesen waren. Dass die Liebe nicht allzu groß gewesen sein konnte.
Trotzdem fühlte sich Mierscheid, als habe er wieder den Kürzeren gezogen.
Frantzen stupste ihn an. »Jetzt kommt’s.«
»Um Ihnen zu demonstrieren, dass es sich lohnen wird, auch in Zukunft unserer verschworenen Truppe anzugehören, habe ich einen kleinen Film vorbereiten lassen«, sagte Dingendorff und trat zur Seite.
Die Scheinwerfer erloschen. Eine Projektion startete. Die Rückwand wurde blendend weiß.
Mierscheid erkannte einen Salzstollen, einen riesigen Dom aus Kristall, imposant ausgeleuchtet. Menschen und Maschinen bewegten sich winzig durch das Bild. Den Text dazu verlas der Talkshowmoderator.
Das Publikum erfuhr, dass es der Sparclub für seine patriotische Pflicht hielt, die akut gefährdeten Arbeitsplätze im Kalibergbau zu retten. Salze und Düngemittel bildeten langfristig eine Zukunftsbranche. Den Versuchen ausländischer Konkurrenten, die Mitteldeutsche Kali AG in Göttingen zu zerschlagen, müsse ein Riegel vorgeschoben werden. Staatliche Subventionen für das angeschlagene Unternehmen seien zwar ein ordnungspolitischer Sündenfall, in dieser Situation allerdings ein Gebot der Vernunft.
Mit den Mitteln des Sparclubs habe die
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