Schwarzer Schwan
Fondsgesellschaft Helios Investments einen Anteil an dem angeschlagenen Kalikonzern erworben, als sich die Chance geboten habe, zu einem Bruchteil des Wertes zuzuschlagen. Ein wahres Schnäppchen. Woraus sich Perspektiven für die gesamte Nation ergäben.
Die Bilder wechselten. Züge mit Castor-Behältern. Demonstranten, die sich gegen die Atommülltransporte als menschliche Barrieren an Eisenbahnschienen ketteten. Transparente, Polizeihelme, Wasserwerfer. Knüppel und Randale. Mierscheid bemerkte, dass sich sein Körper unwillkürlich anspannte.
Die Stimme aus dem Off erklärte, dass eine verfehlte Atomstrategie der alten Bundesrepublik die Energiewirtschaft in eine Sackgasse geführt habe. Die Entsorgungsfrage sei noch immer ungelöst. Viel zu lange habe man aus politischer Sturheit an Gorleben festgehalten. In den neuen Bundesländern gebe es einen weitaus geeigneteren Standort für ein Endlager. Und die Akzeptanz sei dort weit höher – neben der Sicherheit ein großer Pluspunkt.
Fürstenroda.
Ein Ortsschild, Fachwerkhäuser, eine kleine, schiefe Kirche. Weite Felder und zwischen zwei Hügeln der Förderturm.
O-Töne von Experten untermauerten die bisherigen Behauptungen. Mierscheid erkannte Leute, denen er eben noch die Hand geschüttelt hatte. Auch der Typ von den Grünen gab den Kronzeugen: An der Lagerung im eigenen Land führe selbst im Fall eines raschen Atomausstiegs kein Weg vorbei.
Das Fazit: Die Mine in Sachsen-Anhalt sei die sicherste weit und breit. Kein Grundwassereinbruch, keine Korrosion der Behälter sei zu befürchten, kein Austreten radioaktiver Stoffe in die Biosphäre.
Darin bestand also das Schnäppchen für den Sparclub: ein Salzbergwerk in einer gottverlassenen Gegend. Mierscheid konnte sich ausrechnen, was sich die im Rittersaal versammelten Leute von einer Umsetzung dieser Pläne erhofften: Die Heuschrecke Helios Investments würde das Monopol auf die Lagerung des Atommülls besitzen, den Preis bestimmen und Reichtum scheffeln, so lange der Abfall strahlte, also praktisch ewig. Und über die Anteile des Sparclubs würden dessen Mitglieder tüchtig profitieren – Lothar Mierscheid inbegriffen.
Er fragte sich, ob sich die Bundesregierung darauf einließ. Die Kanzlerin stand derzeit mit e. on, RWE und Co. über Kreuz. Aber der Grünen-Promi hatte recht: Egal, wie der Streit ausging, eine Deponie wurde gebraucht. Wenn jedes Mitglied des Sparclubs seinen Einfluss geltend machte, hätten Zweifler kaum Chancen.
Der Film war zu Ende, Dingendorff und der Moderator traten wieder ins Rampenlicht.
»Ein Angebot, das die Bundesregierung nicht ablehnen kann«, sagte der Fernsehmann.
»Ohne Risiko für den Steuerzahler«, stimmte der Spitzenbanker zu. »Wir errichten die Lagerstätte in privater Regie und stemmen die Investitionen aus eigenen Mitteln. Die Betreibergesellschaft stellt dem Bund ihre Dienstleistung zu einem fairen Preis zur Verfügung und garantiert gleichbleibend hohe Qualität über viele Jahrzehnte.«
Sie spielten sich die Bälle zu, Wort für Wort ein einstudierter Dialog, dachte Mierscheid. Neben ihm strahlte Frantzen. Mierscheid traute ihm zu, der Autor dieses Bühnenstücks zu sein.
»Wird das Projekt dem Faktencheck standhalten?«
»Da bin ich mir sicher.«
»Trotzdem erhitzt die Kernenergie die Gemüter mehr denn je.«
»Wir können uns gern in Ihrer Sendung wiedersehen.«
»Wo wir das Thema mit der gebotenen Objektivität anpacken werden.«
»So hart wie nötig, aber so fair wie möglich. Ich freue mich darauf.«
Gelächter und Applaus.
Mierscheid erhob sich von seinem Platz und verließ den Saal. Er brauchte dringend etwas Stärkung.
Frantzen trat zu ihm an den Stehtisch. Mierscheid hatte sich den Teller mit Häppchen vollgepackt und spachtelte gegen das Grummeln in seinem Magen an.
»Wie fandest du die Show?« Frantzen platzte fast vor Stolz. Jetzt klebten ihm tatsächlich Reste weißen Staubs unter der Nase.
»Was habt ihr mit mir vor?«, fragte Mierscheid zurück.
»Wir sollten uns in die Bibliothek zurückziehen. Dort haben wir Ruhe. Möchtest du etwas Warmes? Rehmedaillons mit Stopfleber oder getrüffelten Seeteufel?«
»Nicht nötig. Raus mit der Sprache, Helmut.«
Frantzen kontrollierte, ob jemand in Hörweite stand. Dann rückte er näher und senkte die Stimme. »Die Kanzlerin wird in Kürze das Kabinett umbilden.«
»Und?«
»Zu unserem Paket gehört, dass du Staatssekretär im Umweltministerium wirst. Dingendorff meint, die Kanzlerin
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