Schwarzer Schwan
das von Nicoles Vater stammte es vielleicht aus den Fünfzigern, war aber deutlich kleiner. Mit steilem Schieferdach, in das eine Gaube gesetzt worden war, duckte es sich an einen dicht bewaldeten Hang. Die Westseite lag im Dauerschatten, die Eingangsfront präsentierte sich der Vormittagssonne. Von außen wirkte das Haus verlassen, ein Eindruck, den das heruntergelassene Rollo an dem Fenster neben der Tür noch verstärkte.
Eine Klingel mit unbeschriftetem Schild.
Dominik drückte sie, klopfte gegen die Tür und rief, obwohl ihm klar war, dass Jochens Auto hier stünde, falls er anwesend wäre.
Nur ein Teil des Wendeplatzes war mit Schotter bestreut. Dominik entdeckte einen Reifenabdruck, wo der Boden weich war. Vor zwei Tagen hatte es geregnet, danach musste hier ein Auto gestanden haben.
Er setzte sich wieder ans Steuer und legte den Rückwärtsgang ein.
Das Handy meldete sich. Es war der Abgeordnete, auf den Kripochef Engel ihn gestern hingewiesen hatte. Der Typ markierte tatsächlich den dicken Macker. Und das an einem Samstag.
Seien Sie höflich zu ihm …
Dominik blickte auf die Uhr. »Um zwölf im Präsidium. Passt Ihnen das? Melden Sie sich beim Pförtner, ich hole Sie dann ab, Herr …«
»Mierscheid, Lothar Mierscheid.«
Wirklich bedeutend kann der Kerl nicht sein, dachte Dominik.
73.
Ich schlage die Augen auf … und schließe sie wieder …
Mein Brustkorb sticht beim Atmen. In meinem Kopf tobt ein unbändiger Schmerz. Das Laken unter mir ist kalt und feucht. Kotze.
Ich versuche, mich aufzusetzen. Meine Zunge ertastet eine Lücke – mindestens zwei Schneidezähne fehlen. Ich wünschte, ich wäre tot … Nein, Scheiße, ich will noch nicht sterben!
Ich darf dem Schwein keinen Anlass mehr geben, mich zu verprügeln. Irgendwie bin ich ja selbst schuld, dass es mir jetzt so dreckig geht.
Mühsam schaffe ich es zum Kühlschrank. Wasser. Es schmeckt schal. Vor lauter Gier verzittere ich die Hälfte. Mit dem Rest versuche ich, mein Gesicht zu säubern. Die Wunden brennen. Ich muss an die Tinktur denken, mit der mich der Kerl am ersten Tag verarztet hat. Hoffentlich gibt er mir noch einmal davon.
Die Tür zum Gang steht auf. Irgendwo aus dem Haus sind leise Geräusche zu hören. Es riecht nach Essen und ich bin hungrig.
Ich wage nicht zu rufen.
Ich werde mich bessern.
Ich sinke zu Boden und warte.
74.
Auf der Heimfahrt war Mierscheid guter Dinge. Die Polizei nahm ihn endlich ernst. Zwar hatte der junge Kommissar zunächst nicht sehr vertrauenerweckend gewirkt, vor allem der blaue Fleck am Auge hatte Mierscheid irritiert. Doch immerhin war dem Beamten die Bedeutung seiner Aussage klar geworden.
Das Sonnen-Tattoo, Dingendorff und Frantzen, ihre Jugendclique, die eventuell ein schwarzes Schaf barg – die erste wirklich heiße Spur für die Mordkommission, dessen war sich Mierscheid sicher.
Die Südbrücke. Tempo siebzig. Vorsicht, ein Starenkasten.
Das Handy: Frantzen.
»Gerade habe ich an euch gedacht«, sagte Mierscheid.
»Grund zu feiern«, antwortete der RheinBank-Sprecher. »Die Kanzlerin hat sich gemeldet. Im Prinzip stimmt sie mit uns überein. Auch, was den Personalvorschlag anbelangt. Sie stellt zwar Bedingungen, aber wir arbeiten daran.«
»Was für Bedingungen?«
»Es geht um den Altkanzler. Sie fragt, ob wir Kohl in die Pfanne hauen können, damit seine Attacke im heutigen Blitz ohne Wirkung bleibt.«
»Und?«
»Ich glaube, Freunde werden die beiden nicht mehr. Falls du also einen guten Tipp hast …«
»Vielleicht.«
»… bist du in wenigen Wochen Staatssekretär.«
Mierscheid überlegte.
»Hörst du, Lothar? Bist du noch dran?«
»Nein.«
»Bitte?«
»Das will ich nicht, Helmut.«
»Echt nicht? Mensch, Lothar, Staatssekretär!«
»Ich werde lieber Minister.« Ein Amt, das mich unabhängig macht, dachte Mierscheid. Vielleicht sogar von Dingendorff. Wenn ich schon nicht wie Paula den Ausstieg schaffe, dann will ich wenigstens ganz oben mitmischen. »Minister oder gar nicht.«
Die Abfahrt. Einordnen vor der Kreuzung. Grün.
Stille in der Leitung.
»Auf dem Posten kann ich euch noch viel nützlicher sein.«
»Also, Lothar. Und ich dachte immer, dich müsste man zum Jagen tragen.«
Zu Hause bereitete sich Mierscheid einen Magentee. Dann suchte er in seinem Verzeichnis eine Nummer und griff zum Telefon.
»Volker Paschke«, meldete sich der Fraktionskollege.
»Gratuliere, Volker. Ich höre, es rumort bereits in der Partei. Die klaren Worte des Altkanzlers –
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