Schwarzer Schwan
Überraschung ließ sich das Ding tatsächlich drehen.
Er schlüpfte in das Zimmer und zog die Tür hinter sich zu. Seine Nerven vibrierten. Er musste sich beeilen. Dominik steuerte sofort auf den Fernseher zu, der auf einem Rolltisch stand.
Im Fach darunter ein Rekorder. Dominik schaltete beide Geräte ein. Er suchte den Datenträger der Flughafengesellschaft, fand eine leere Hülle und entdeckte, dass die CD bereits eingelegt war.
Er drückte auf Play und sah das erhoffte Bild: Die breite Glastür, die sich automatisch öffnete, wenn von der anderen Seite ein Fluggast näher kam. Die flachen Rampen, die behindertentauglich in den öffentlichen Bereich der Ankunftsebene führten. Leute auf fest montierten Stühlen. Sie lasen, warfen Blicke auf die Uhr und starrten vor sich hin. Andere warteten vorn am Geländer, tippten etwas in ihr Handy, hielten Kinder an der Hand oder ein Schild vor dem Bauch. Von den Vorübereilenden im Vordergrund waren meist nur Kopf und Schultern von schräg oben zu sehen – die Kamera hatte in erster Linie den Bereich vor der Tür im Fokus.
Uhrzeit und Datum waren unten rechts eingeblendet. 11-00/25-06, 11-01/25-06 …
Dominik drückte Eject und nahm die Scheibe aus der Schublade.
Er huschte zur Tür und drückte ein Ohr dagegen. Kein Laut war von draußen zu hören. Er verließ Annas Zimmer und fühlte sich wie ein Dieb. Aber auf ein Delikt mehr in seinem Sündenregister kam es nun auch nicht mehr an.
Als er sein Büro erreichte, holte er tief Luft. Dann schob er die CD in den Schlitz seines Computers.
Unmittelbar nach seinem Gespräch mit Lothar Mierscheid hatte sich Dominik zunächst einmal die Ermittlungsakte zur jüngst eingestellten Vergewaltigungssache besorgt: Constanze Kehrein geb. Busch gegen unbekannt – wenn die Vermutung des Abgeordneten zutraf, bildete das Verbrechen, das vor zwanzig Jahren an der Schwester von Paula Busch verübt worden war, die Vorgeschichte zu den Schüssen am Aachener Platz.
Die Akte hatte Dominik nicht weitergeholfen. Dutzende Zeugenaussagen – durch die Bank uralt und unergiebig. Was das Opfer selbst zu Protokoll gegeben hatte, wich in einigen Punkten von der Version ab, die Mierscheids Aussage suggerierte.
Constanze hatte nicht für die Gründungsversammlung des Sparclubs gekellnert, sondern auf einer Hochzeit, die zur gleichen Zeit in einem benachbarten Saal gefeiert worden war. Als sie nach getaner Arbeit ihren Mantel holen wollte, fing sie ein Unbekannter ab, drückte ihr einen Lappen mit einer scharf riechenden Lösung auf das Gesicht und verschleppte sie in einen Kellerraum, wo weitere Männer auf sie warteten. Die Betäubung hatte nicht vollständig gewirkt. Constanze konnte der Polizei die Skizze einer Tätowierung liefern. Doch das war auch schon alles.
Die Ermittler hatten sich in den ersten Tagen mächtig ins Zeug gelegt. Angesichts des ärztlichen Attestes stockte Dominik der Atem. Das trockene Medizinerlatein konnte das Grauen nicht übertünchen – Constanze hatte buchstäblich wieder zusammengeflickt werden müssen. Dominik überflog zahlreiche Vernehmungsprotokolle: Hochzeitsgäste, Reinigungspersonal, Security-Leute, Angehörige der Cateringfirma und sämtliche Mitarbeiter der Tagungsstätte Schloss Schassberg GmbH waren befragt worden. Auch ein gewisser Dingendorff, damals noch Referent des Landesbankchefs und Organisator des Treffens nebenan. Dann hatte der Ermittlungseifer der Kollegen jedoch stark nachgelassen. Dominik vermisste die Teilnehmerliste der Sparclubgründung. Er hätte jeden einzelnen Gast antanzen lassen, ob Banker, Industrieboss oder Politiker. Und zwar nackt.
Dingendorff hatte es in den letzten zwei Jahrzehnten zum Vorstandsvorsitzenden der zweitgrößten deutschen Privatbank geschafft. Laut Mierscheid, dem Abgeordneten, waren sämtliche Kumpel aus Dingendorffs Jugendclique auf die gleiche Weise tätowiert gewesen wie einer oder mehrere der Vergewaltiger. Und Paula Busch, die sich zu spät der depressiven Schwester annahm, soll vor ihrer Ermordung mit dem Bankenboss im Zwist gelegen haben.
Standen die Täter unter den Fittichen des mächtigen Dingendorff?
Als Dominik erkannte, dass ihm Spekulationen nicht weiterhalfen, erinnerte er sich an die Aussage der Zeugin Lilly Oppers und wählte die Nummer der Flughafengesellschaft. Soviel er wusste, waren die Terminals in Düsseldorf-Lohausen mit Kameras reichlich bestückt.
Das Laufwerk surrte leise. Dominiks Finger zitterten noch immer vor Aufregung. Er
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